Der Mysteria3000 Autor G. Sperveslage rezensiert das Buch ‚Die Welt der Götter im alten Ägypten‘ von Richard H. Wilkinson.
Wohl kaum eine Religion der Weltgeschichte hat die Menschen so fasziniert wie die ägyptische. Nicht nur in der griechischen und römischen Antike fanden ägyptische Götter und Kulte Verbreitung, sondern ihre Rezeption lebt im Abendland in nahezu ungebrochener Tradition bis in die Gegenwart fort. Entsprechend groß ist auch das Interesse an Literatur über ägyptische Religion, ihre Götter und Mythologie. Richard H. Wilkinson hat nun mit diesem Buch einen aktuellen Überblick über Religion und Mythologie im Land am Nil vorgelegt.
Das Buch gliedert sich in zwei Hauptteile: Im ersten Teil (Kapitel I-IV) wird die ägyptische Religion erläutert, im zweiten Teil (Kapitel V) folgt dann ein Katalog ägyptischer Götter und Göttinnen mit über 400 Einträgen.
Sachlich prägnant und in verständlicher Sprache behandelt der Autor im ersten Teil die Grundzüge ägyptischer Religiosität. Kapitel 1 ‚Aufstieg und Fall der Götter‘ beschreibt die Entstehung und den Niedergang der ägyptischen Götter. In prädynastischer Zeit verehrten die Menschen Naturmächte und Tiergottheiten, mit dem Gott Min tritt erst zu Beginn der dynastischen Zeit der erste menschengestaltige Gott auf. Weiter werden die drei wichtigsten Kosmogonien und Theogonien von Hermopolis, Heliopolis und Memphis vorgestellt und einander gegenübergestellt, wobei der Autor deutlich macht, dass es sich dabei nicht um sich widersprechende Schöpfungsgedanken handelt, sondern nur um unterschiedlich ausdifferenzierte Aspekte einer einzigen komplexen Vorstellung. Schließlich bespricht Wilkinson die Sterblichkeit ägyptischer Götter und die in den Sargtexten ausgeführten apokalyptischen Andeutungen. Beides tritt allerdings erst nach Millionen von Jahren ein, also ein Zeitraum, der der menschlichen Vorstellung als Ewigkeit erscheint, dennoch sind nach ägyptischer Vorstellung die Götter nicht unsterblich, sie haben nur eine ungleich längere Lebenszeit als der Mensch.
Im zweiten Kapitel geht es um ‚Das Wesen der Götter‘. Neben den Göttern und Göttinnen kannten die Ägypter zahlreiche Geister, Dämonen und Bau („Mächte“), die alle unter dem ägyptischen Begriff netscher zusammengefasst sind, den wir gewöhnlich mit „Gott“ übersetzen. Wilkinson weist zurecht auf die Unzulänglichkeit dieser Übersetzung hin. Im Zusammenhang mit dem Wesen der Götter geht der Autor ausführlicher auf die Erscheinungsformen der Götter ein und bespricht verschiedene Möglichkeiten der religiösen Offenbarung eines Gottes.
‚Die Verehrung der Götter‘ ist Gegenstand des dritten Kapitels. Ob in Tempeln und Heiligtümern mit sorgsam gehüteten Kultbildern und großen Prozessionen und Festen oder im Hauskult mit kleinen Statuetten und Amuletten, hier der offizielle Staatskult, dort die persönliche Frömmigkeit des Einzelnen: Der religiöse Ägypter versuchte seinen Göttern so nahe wie möglich zu sein.
Das vierte Kapitel schließlich trägt den Titel ‚Das Königtum und die Götter‘. Der ägyptische König war lebender Gott auf Erden, nach seinem Tod wurde er mit Osiris und Re verbunden. Er war der Repräsentant des Göttlichen auf Erden und damit oberster Priester. Der Autor beschreibt die enge Verbindung und die gegenseitige Abhängigkeit von Königtum und Götterwelt. Entsprechend ihrer eigenen Gesellschaft haben sich die Ägypter auch die Götterwelt hierarchisch organisiert als Königtum vorgestellt. Auch dieser Vergleich zwischen irdischem und göttlichen Königtum findet in der Darstellung Wilkinsons gebührenden Raum.
Nun folgt der Hauptteil, ‚Der Katalog der Gottheiten‘. Zunächst werden verschiedene Göttergruppen besprochen, d.h. unbestimmte Gruppen, wie Triaden, Achtheiten, Neunheiten etc., sowie auch bestimmte Gruppen, wie die Horussöhne, Gaugötter oder Stundengottheiten. Dann folgen, gegliedert nach ihrer Gestalt in anthropomorphe Götter, anthropomorphe Göttinnen, Säugetiergottheiten, Vogelgottheiten, Reptilien-, Amphibien-, Fischgottheiten, Wirbellose und Insektengottheiten sowie vergöttlichte Himmelskörper, in alphabetischer Ordnung die einzelnen Götter. Wer eine bestimmte Gottheit nachschlagen möchte, aber nicht weiß in welcher Gestalt sie auftritt, kann im Verzeichnis aller Gottheiten auf Seite 70/71 nachschlagen, dort sind alle behandelten Götter mit jeweiliger Seitenzahl angegeben. Die Beiträge zu den einzelnen Gottheiten sind so aufgebaut, dass zunächst eine Zusammenfassung der wichtigsten Mythen gegeben wird. Dann folgt eine Beschreibung der charakteristischen Ikonographie, schließlich folgt ein Abschnitt zum Kult der entsprechenden Gottheit.
Ein Epilog über das Fortleben der ägyptischen Mythologie schließt das Buch ab.
Wilkinson beschreibt anschaulich, komprimiert und mit zahlreichen Fotos und Zeichnungen illustriert das Wesen der ägyptischen Religion und die Charakteristika der einzelnen Götter und Göttinnen. Damit gibt er eine Übersicht, die sowohl als Einstieg in die Thematik wie auch als kurze Information geeignet ist. Wer sich umfassender informieren möchte, kann auf ein ausführliches, nach Kapiteln gegliedertes Literaturverzeichnis zurückgreifen.
Wilkinson, Richard H.: Die Welt der Götter im Alten Ägypten, Theiss Verlag, Stuttgart 2003, ISBN: 3-8062-1819-6