Rezension des Buches „Grab und Herrschaft“ des Berliner Kulurhistorikers Olaf B. Rader.

Grab und Herrschaft – diese beiden Begriffe scheinen auf den ersten Blick völlig gegenläufig zu sein. Doch es besteht ein elementarer Zusammenhang, wie Olaf B. Rader nachweisen kann. Seit der Antike spielt der Totenkult um verstorbene Herrscher eine zentrale Rolle in der Legitimierung und Erhaltung von Macht und Herrschaft. Die Sorgfalt, mit der ein Machthaber seinen Vorgänger bestattete, und der Aufwand der dabei vollzogenen Riten sind weder Zufall noch selbstverständliche Handlung, sondern wohlüberlegte Inszenierung, um sich selbst der Öffentlichkeit als legitimer und unbestrittener Nachfolger zu präsentieren. Ebenso diente die Sorge um die Gebeine lange zuvor verstorbener Persönlichkeiten dazu, sich in eine heroische bzw. mythische Tradition zu stellen.

Für diese These bringt Olaf B. Rader im ersten Teil des Buches eine Reihe von Fallbeispielen, an denen er einerseits theoretische Ansätze, andererseits Grundbegriffe der kulturwissenschaftlichen Betrachtung erläutert: Die Überführung der Gebeine Theseus‘ nach Athen im 5. Jh. v.Chr. durch Kimon und die damit zusammenhängende Entfaltung der athenischen Vorherrschaft in Attika. Die flammende Leichenrede des Markus Antonius nach Caesars Ermordung 44 v.Chr., die das römische Volk auf seine Seite brachte. Die Heimholung der Leiche Napoleons nach Paris. Die Bedeutung von dynastischen Grablegen wie Saint-Denis, Speyer oder Cölln, die als ein Gedächtnisort immer wieder Schauplatz politischer Totenkulte wurden.

Im zweiten Teil zeigt er die Komplexität und Vielfältigkeit des Themas auf. Anhand mehrerer Beispiele geht er ins Detail und untersucht spezifische Fälle der Machtanknüpfung. Die Sorge um den verstorbenen Vorgänger kann dazu dienen, einen Bruch zu überspringen, der auf dynastischer, kultureller, ideologischer, religiöser oder zeitlicher Ebene liegen kann. Eine besondere Rolle spielt die Reliquienverehrung. Der Besitz der Gebeine Heiliger stellte einen so großen Wert dar, indem sie Legitimation stifteten, Identitätsbewusstsein schufen und Distinktionsvorteile verschafften, dass nicht nur um die Reliquien gekämpft wurde, sondern diese sogar gefälscht und vervielfältigt wurden. Herrscherleichen, wie die Alexanders des Großen, wurden gestohlen und blutige Schlachten um sie geschlagen. Doch besorgte nicht nur der aufwendige Totenkult und der Besitz der Leiche öffentliche Anerkennung. Die Geschichte zeigt darüber hinaus, wie der Vorgänger nach seinem Tode gerichtlich verurteilt, diskreditiert und schließlich seine Leiche – und damit die Erinnerung an die Person – ausgelöscht werden konnte. Die Leichen unliebsamer Personen wurden in Flüsse und Meere geworfen (Papst Formosus), in Salzsäure aufgelöst (Lumumba) oder einbetoniert (Haile Selassie, Ché Guevara). Politische Totenkulte sind also weder zufällig noch ein zeitspezifisches Phänomen.

Das vorliegende Buch gibt einen spannend verfassten, mit vielen Fallbeispielen und historischen Anekdoten angereicherten Bericht über Mechanismen der Machtsicherung. Der politisch äußerst wirkungsvolle Gräber- und Totenkult und die Selbstinszenierung des Nachfolgers erfahren nach der Lektüre einen selten wahrgenommenen Blickwinkel und eine angemessene Neubewertung.

Literatur

Olaf B. Rader: Grab und Herrschaft. Politischer Totenkult von Alexander dem Großen bis Lenin, Verlag C.H.Beck, München 2003. ISBN: 3-406-50917-7