In seinem aktuellen Buch behandelt Michael Haase das Pyramidenfeld von Dahschur. Hier befinden sich die markante Knickpyramide und die Rote Pyramide, beide unter König Snofru, dem ersten Herrscher der 4. Dynastie (um 2600 v.Chr.) errichtet.
Ausgehend von der Entwicklung der Pyramiden über die frühdynastischen Grabmäler, die sogenannten Mastabas, über die Stufenpyramide des Djoser bis hin zur „echten“ Pyramide, verfolgt der Autor die Geschichte der Pyramiden bis ins Mittlere Reich. Sein besonderes Augenmerk liegt dabei auf Dahschur, das bis vor wenigen Jahren militärisches Sperrgebiet und nicht für Touristen zugänglich war. Snofru errichtete drei, z.T. über 100 m hohe Pyramiden: die erste in Meidum, zwei weitere in Dahschur. Insgesamt verbauten seine Arbeiter neun Millionen Tonnen Stein und damit weit mehr als später für den Bau der Cheopspyramide verwendet wurde.
In Meidum wurde eine Stufenpyramide errichtet, die Snofru als letzte Ruhestätte dienen sollte, doch dann folgte ein Nekropolenwechsel, deren genaue Ursache schließlich unbekannt ist. Als Bauplatz einer neuen Pyramide wurde das weiter nördlich gelegene Dahschur ausgewählt. Bald nach Baubeginn zeigte sich jedoch, dass der Untergrund schlecht gewählt war, denn durch Absacken der Anlage entstanden Risse im Kammernsystem und in der Außenverkleidung, die bedenkliche Ausmaße annahmen. Um die Pyramide zu retten, ließen die Bauleiter nichts unversucht. Als letzten Rettungsversuch veränderten die Planer schließlich in einer Höhe von 47 m den Neigungswinkel, was im oberen Teil zu einer Gewichtsreduzierung und zum markanten Aussehen der Pyramide führte. Die Grabkammern stellten jedoch ein Sicherheitsrisiko dar und mussten aufgegeben werden.
Noch während die Arbeiten im oberen Teil der Knickpyramide beendet wurden, begann man mit dem Bau einer dritten Pyramide, die ebenfalls in Dahschur errichtet wurde, da keine Zeit für die Anlage eines neuen Transportnetzes war. Die Knickpyramide wurde schließlich vollendet, um nicht als „peinliche Ruine“ zurückzubleiben; später wurde sie in den Königskult integriert. Davon zeugt z.B. ein Stelenheiligtum an der Ostseite.
Gleichzeitig mit dem Bau der Roten Pyramide in Dahschur fanden Modernisierungsarbeiten an der Pyramide von Meidum statt, die nun verkleidet und zu einer echten Pyramide verwandelt wurde. Das neue Pyramidenprojekt in Dahschur sah kein unterirdisches Kammernsystem vor, sondern dieses wurde erstmals oberirdisch angelegt, was eine Arbeitserleichterung und Zeitersparnis darstellte. Denn statt der statischen Probleme drängt nun die Zeit. So starb König Snofru bevor der Pyramidenkomplex vollendet war. Mit der Errichtung der Roten Pyramide war die erste „echte“ Pyramide entstanden. Damit stellt sie den Endpunkt der Entwicklung über Mastabas und Stufenpyramiden dar. Es folgten die Pyramiden von Giza (um 2500 v.Chr.) und die der 5. und 6. Dynastie (um 2470 – 2160 v.Chr.), in denen erstmals Pyramidentexte auftraten. Nach den Wirren der ersten Zwischenzeit errichtete man im Mittleren Reich (um 2020 – 1780 v.Chr.) in Anlehnung an das Alte Reich wieder Pyramiden. Es setzte sich eine Form der Arbeitserleichterung durch, indem das Kernmauerwerk aus Lehmziegeln hochgezogen wurde und nur die Außenverkleidung der Pyramiden aus Kalksteinblöcken bestand.
Amenemhet II., Sesostris III. und Amenemhet III. errichteten ihre Pyramiden in Dahschur, der Nekropole unter Snofru, und knüpften damit an dessen glorreiche Zeit an. Doch beim Bau der Pyramide von Amenemhet III. (um 1840 v.Chr.) sollte sich noch einmal eine Baukatastrophe auf dem Pyramidenfeld von Dahschur ereignen: statische Probleme führten auch hier zu Senkungen im Kammernsystem, die die Bauleiter zur Aufgabe der Anlage zwangen. Eine zweite Pyramide entstand daraufhin in Hawara, im Faijum.
In ‚Das Feld der Tränen‘ berichtet Michael Haase nicht nur ausführlich über die Pyramidenbauten unter Snofru. Es wird die Entwicklung der Pyramide nachgezeichnet, aber auch die Privatnekropolen von Dahschur werden untersucht, aus denen sich wichtige Erkenntnisse über die Zeit der Regierung Snofrus gewinnen lassen und deren Erforschung auch in Zukunft noch interessante Details liefern wird.
Der Autor durchleuchtet die Hintergründe des Pyramidenbaus, die Planung und Organisation, die notwendig ist, den Aufbau einer funktionierenden Infrastruktur, die Produktion von Werkzeugen und Gerätschaften und nicht zuletzt das Heranschaffen von Nahrungsmitteln für die Arbeiter – alles das, was zur Errichtung der monumentalen Anlagen von größter Wichtigkeit ist und häufig vergessen wird. Er untersucht Theorien zur Baukonstruktion, wie z.B. Rampenmodelle, und Methoden zur Verarbeitung von Hartgesteinen. Verschiedene Ansichten werde nebeneinandergestellt und gegeneinander abgewogen. Dabei lässt der Autor zahlreiche namhafte Ägyptologen zu Wort kommen. Der Leser erhält somit einen genauen Einblick in den Bau der Snofru-Pyramiden und die Arbeitsmethoden der Ägypter, aber auch in die Arbeit und Forschung der Ägyptologen.
Das Buch zeugt von einer gründlichen und gewissenhaften Recherche, in der auch aktuelle Erkenntnisse der Ägyptologie berücksichtig werden. Im Anhang findet sich eine Zeittafel, eine Übersicht der Königsgräber in Dahschur sowie der Forschungsgeschichte der Nekropole.
Ein empfehlenswertes Buch, das in einer auch für Einsteiger und Laien verständlichen Form geschrieben ist.
Literatur
Haase, Michael (o.J.): Das Feld der Tränen, ISBN: 3-550-07141-8, Ullstein Verlag, Berlin