Rezension des Buches ‚Grab und Totenkult im Alten Ägypten‘ durch Gunnar Sperveslage.

Häufig ist zu lesen, die ägyptische Kultur sei auf eine Existenz nach dem Tode ausgerichtet gewesen, nicht auf das irdisches Leben. Monumentale Grabbauten, prunkvoll ausgestattete Grabkammern, aufwändige Malereien seien ein Indikator dafür. Doch in Wirklichkeit trifft das genaue Gegenteil zu: Der Ägypter war seinem irdischen Dasein so verhaftet, dass er es auch im Jenseits nicht vermissen wollte. So ließ er sich seine Habe mit ins Grab geben und Szenen des alltäglichen Lebens an den Wänden anbringen.

In diesem neuen, dem Heidelberger Ägyptologen Jan Assmann gewidmeten Band präsentieren 15 Autoren neue Forschungsergebnisse zum Thema Totenkult. Der erste Beitrag sucht nach den Anfängen des altägyptischen Totenkultes, den man zurecht als den Ursprung und Katalysator der Kultur am Nil bezeichnen kann. In weiteren Kapiteln werden einzelne Aspekte der Grabarchitektur und der Versorgung des Toten im Alten Reich behandelt. Auch das „Sterben der kleinen Leute“, weit abseits der großen Königs- und Elitegräber findet angemessene Berücksichtigung. Eine große Zahl der Aufsätze ist dem Totenkult im Neuen Reich gewidmet: Anhand der Fülle des Materials, das aus dieser Zeit bekannt ist, und der überlieferten Texte lassen sich für diese Epoche besonders gut Veränderungen in der Religion und im Jenseitsglauben nachweisen. In dieser Zeit gingen die Ägypter dazu über, ihre Gräber individuell auszustatten und zu dekorieren. Zuvor war die Anlage des Grabes durch eine vom König festgelegte Norm bestimmt, doch nun erzählen sie mitunter die persönliche Geschichte und Erlebnisse des Verstorbenen und die an den Wänden angebrachten Götterhymnen zeugen von der „persönlichen Frömmigkeit“ der Menschen.

Weiterhin geben die Autoren profunden Einblick in die Welt der Ägypter. Der Leser wird informiert, wie die Versorgung des Toten funktioniert hat und wie der Nachlass im Alten Ägypten geregelt wurde. Er erfährt, unter welchen Lebensumständen z.B. die Arbeiter im Tal der Könige arbeiteten, wie sie die Gräber angelegten und welche Symbolik verschiedene Aspekte der Anlage beinhalteten, wie Farben der Wände oder Ausrichtung der Kammern. Ein wichtiger Beitrag beschäftigt sich mit dem Konzept der ägyptischen Seele, bestehend aus den drei Aspekten Ba, Ka und Ach.

Ein interessanter Ausblick wird durch die beiden abschließenden Kapitel erbracht. Zum einen wird das Nachleben ägyptischer Traditionen anhand von Bestattungsformen in der Spätantike untersucht. Mumienhüllen aus dieser Zeit zeigen eine Vermischung von ägyptischen mit christlichen Motiven. Zum anderen wird der interdisziplinäre Vergleich zwischen dem Tal der Könige und Saint-Denis gewagt. Die Gegenüberstellung dieser beiden königlichen Grablegen zeigt, dass der Totenkult im Alten Ägypten in seiner Form und in seinem Aufwand zwar einzigartig ist, er sich aber, vor allem wenn es um Herrscher geht, nicht grundsätzlich von der Sorge um den Toten in anderen Kulturen unterscheidet.

Der vorliegende Band macht den Leser mittels den Totenkultes mit der materiellen Kultur der Ägypter, ihrer Religion, ihrer Ethik und ihren sozialen Strukturen bekannt. Über einen Zeitraum von mehr als drei Jahrtausenden werden Kontinuität und Wandel in Grabgedanken und Jenseitsvorstellungen sichtbar gemacht, indem neue archäologische Entdeckungen dargestellt werden, neue Interpretationen für alte Probleme angeboten werden und interdisziplinärer Vergleich gesucht wird.

Literatur

Guksch, Heike u. Hofmann, Eva u. Bommas, Martin (Hrsg.): Grab und Totenkult im Alten Ägypten, C.H.Beck Verlag, München 2003. ISBN: 3-406-44791-0