Rezension zu Erik Hornungs Buch ‚Das geheime Wissen der Ägypter und sein Einfluss auf das Abendland‘.

Das geheime Wissen der Ägypter und sein Einfluss auf das Abendlands

Bereits die alten Griechen sprachen den Ägyptern, beeindruckt vom hohen Alter ihrer Kultur, große Weisheit und geheimes Wissen zu. Daher gingen ihre Gelehrten auch gerne bei den ägyptischen Priestern in die Lehre. Aus der Gleichsetzung des griechischen Gottes Hermes mit dem ägyptischen Gott Thot entstand die Person des Hermes Trismegistos, der als Herr aller Weisheit angesehen und dem eine Lehre, das Corpus Hermeticum, zugeschrieben wurde. Die Bezugnahme auf dieses um die Zeitenwende entstandene Corpus Hermeticum lässt sich wie ein roter Faden durch die Geschichte verfolgen: Die Gelehrten der griechischen Antike, die Alchemisten des Mittelalters, die Geheimorden und Bruderschaften der Renaissance, die Theosophie und die moderne Esoterik wie auch die Paläo-SETI berufen sich auf der Suche nach dem geheimen Wissen der Ägypter stets auf Hermes Trismegistos.

Der Ägyptologe Erik Hornung überschreitet die Grenze zwischen wissenschaftlicher und esoterischer Beschäftigung mit dem Land am Nil und sucht zunächst nach den altägyptischen Quellen dieser von ihm so genannten „Ägyptosophie“. Als wesentliche Wurzeln für die Annahme, die Ägypter seien Hüter geheimes Wissens gewesen, kann identifiziert der Autor den Gott Thot, da er bereits seit dem Mittleren Reich primär als Herr der Weisheit und Erfinder der Schrift galt, des weiteren Zauber und Magie, denen im Volksglauben eine große Rolle beigemessen wurde, sowie astronomische als auch astrologische Bemühungen der Ägypter und schließlich die Hieroglyphenschrift, von der seit dem Mittelalter geglaubt wurde, in ihr sei geheimes Wissen kodiert. Ein weiterer wichtiger Punkt wird von Hornung allerdings nicht angesprochen, obwohl gerade dieser bewirkte, dass den Ägyptern bereits in der Antike Geheimwissen zugeschrieben wurde: In der ägyptischen Spätzeit wurde im Zuge vieler Fremdherrschaften der Tempel in seiner Anlage kanonisiert und reichhaltiger mit Dekorationen und Inschriften ausgestattet, als je zuvor. Die ägyptische Kultur zog sich in ihre Tempel zurück, um so durch Abschottung ihre kulturelle Identität zu bewahren. (Assmann, Jan (1992): Das kulturelle Gedächtnis, München, S.177ff.). Für Außenstehende musste somit der falsche Eindruck entstehen, es werde im Tempel geheimes Wissen akkurat gehütet.

Das Ägyptenbild, das im Mittelalter und in der Renaissance Europa prägte und noch heute in die Esoterik und PaläoSETI fortwirkt, lässt sich darauf zurückführen, dass die Griechen die ägyptische Kultur falsch verstanden und aus ihrem eigenen Kulturverständnis heraus interpretierten. Das im Corpus Hermeticum, der Kabbala, den alchemistischen Schriften und Lehren der Geheimbünde enthaltene „Geheimwissen“ der Ägypter ist weder ägyptischen Ursprungs, noch steht es in seiner direkten Tradition, wie Erik Hornung in einem ausführlichen Streifzug durch die Geschichte der „Ägyptosophie“ aufzeigen kann. Mit dem vorliegenden Buch hat er einen Überblick über zweitausend Jahre Geschichte der Auseinandersetzung des Abendlandes mit Ägypten vorgelegt – über ein imaginäres Ägypten, das mit der geschichtlichen Wirklichkeit kaum in Verbindung zu bringen ist, dessen Auswirkungen auf die Gegenwart aber präsent sind und auch bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Ägypten nicht völlig ignoriert werden sollten.

Dieses Buch kann von jedem mit Gewinn gelesen werden, der sich für die ägyptische Kultur mit seiner Rezeptionsgeschichte und den entsprechenden Hintergründen interessiert. Die Lektüre ist ebenfalls jedem nahe zu legen, der sich auf der Basis der Paläo-SETI-Hypothese mit dem alten Ägypten und seinen Errungenschaften befasst.

Erik Hornung: Das geheime Wissen der Ägypter und sein Einfluss auf das Abendland. dtv Verlag, München 2003. ISBN: 3-423-30869-9