Im Jahre 1922 wurde in Mexiko-City eine Pyramide ausgegraben, deren Erforschung oder genauer: deren Datierung ein unglaubliches Ergebnis erbrachte. Die Pyramide von Cuicuilco, wie man sie heute nennt, war von einer bis zu 8 m hohen Lavaschicht überdeckt. Wie Walter-Jörg Langbein [1] schreibt, wurde die Lava vom Neuseeländer Geologen George E. Hyde auf ganze 7.000 Jahre geschätzt!

Die ursprüngliche Veröffentlichung dazu findet man im „National Geographic Magazine“ aus dem Jahre 1923, Verfasser des Artikels mit dem reißerischen Titel „Ruinen von Cuicuilco könnten unser Bild des Alten Amerika revolutionieren“ war Byron Cummings, zugleich Ausgräber der Rundpyramide. Doch Cummings ließ es nicht bei einem Alter von 7000 Jahren bewenden, sondern bezog eine weitere Schicht aus Sand, Lehm und Stein mit ein:
„Diese 15 – 17 Fuß [hohe Schicht, SB] von Sand, Lehm und Steinen, die sich über dem umgebenden Pflaster von Cuicuilco angesammelt hatten, bevor der Lavastrom kam, zeigen, dass seine [Cuicuilcos, SB] Erbauer Tausende von Jahren vor dem Pedregal [dem Lavastrom, SB] gelebt und gearbeitet hatten. Es ist also vernünftig anzunehmen, dass dieser Tempel von primitiven Amerikanern erbaut wurde, die vor 8000 oder mehr Jahren lebten.“ [2]
Auch in dem überaus berühmten Archäologie-Roman „Götter, Gräber und Gelehrte“ von Ceram (eigentlich Kurt W. Marek) wird die Geschichte um die Pyramide von Cuicuilco geschildert:
„Und hier nun riefen die Archäologen ein paar Kollegen von einer anderen Fakultät zu Hilfe: die Geologen. Wie alt ist die Lava?, fragten sie. Und die Geologen, nicht ahnend, dass sie mit ihrer Antwort ein historisches Weltbild aus den Angeln hoben, antworteten schlicht: „Achttausend Jahre!'“ Heut wissen wir, dass diese Antwort falsch war, weil die Datierungsmethoden der Geologen unzulänglich sind, wenn es sich um relativ ‚kurze‘ Zeiträume handelt (Geologen rechnen mit Hunderttausenden oder Millionen von Jahren).“ [3]
Es nicht richtig, dass die Geologen sagten, die Pyramide sei 8.000 Jahre alt; das folgerte Cummings aus eigenen Beobachtungen. Einen anderen Kritikpunkt spricht Johannes Fiebag, seines Zeichens promovierter Geologe, an:
„Es ist […] grundsätzlich falsch und zeugt zudem vom schlechten Informationsstand Cerams, wenn er von ‚unzulänglichen‘ Methoden hinsichtlich kurzer Zeiträume spricht.“ [4]
Leider erfährt der Leser bei Cummings nicht, wie die Lava vom Geologen Hyde zeitlich eingeordnet wurde. Daher kann man sich kein Urteil über die Kompetenzen der Geologen erlauben. Doch nun ist es ja nicht so, dass es bei diesen Datierungen blieb. Nach Hyde kamen andere Forscher, die sich mit dem Alter Cuicuilcos beschäftigten. Andere Geologen, darunter N. H. Darton vom U. S. Geological Survey, sagten, der Lavastrom sei etwa 2000 Jahre alt. [5] Schon 1933 wurde also das Alter von 8.000 Jahren in Frage gestellt!
Inzwischen bediente man sich der sog. Radiokarbonmethode, mit der man organisches Material datieren kann. Durch die entnommenen Proben und dort gefundene Artefakte war man dazu imstande, eine Chronologie Cuicuilcos zu erstellen, beginnend von der späten vorklassischen Periode (ca. 600 – 200 v. Chr.) zur „Terminal Preclassic Period“ (ca. 200 v. Chr. – 250 n. Chr.), wobei die frühesten Plattformen aus der „Midtlapacoya Periode“ (ca. 1000 v. Chr. – 800 v. Chr.) stammen: [6]
Periode Alter
Cuicuilco I A/B: 600 v. Chr. – 500 v. Chr.
Cuicuilco II: 500 v. Chr. – 400 v. Chr.
Cuicuilco III: 400 v. Chr. – 200 v. Chr.
Cuicuilco IV: 200 v. Chr. – 100 v. Chr.
Cuicuilco V A/B: 100 v. Chr. – 150 n. Chr.
Alle Angaben verstehen sich circa!
Wie alt nun die Lava ist, weiß man nicht genau. Die Schätzungen variieren recht stark. Heizer und Bennyhoff [7] schlagen 400 n. Chr., Cordova et al. [8] 415 n. Chr. und C. Siebe [9] 245 – 315 n. Chr. vor. Zu diesen Daten kam man, indem man organische Proben unter der Lava entnahm. Das bedeutet, dass die Lava nicht älter sein kann, auch wenn die Interpretationen der Proben unterschiedlich ausfallen. Außerdem wurden Keramiken unter der Lava ausgegraben, die denen der Teotihuacan-Kultur (100 – 700 n. Chr.) ähneln. Die Fundstücke dürften also ungefähr so alt sein wie die jeweiligen Kunststile Teotihuacans. Somit ist die Annahme, die Lava sei 7.000 Jahre alt, überholt.
Allerdings schafft das Alter der Lava keine Klarheit über das Alter der Pyramide. Auch hier kann man nur die Radiokarbonmethode zu Rate ziehen und mit ihr assoziierte Fundstücke datieren, da die Pyramide selbst aus sterilem – nicht organischem – Material errichtet wurde. Die ältesten Radiokarbondaten stammen aus Cuicuilco B – nicht zu Verwechseln mit dem Zeitabschnitt Cuicuilco I B -, einer Gruppe von 11 mounds (pyramidalen Strukturen). Die eine Probe, UCLA 211, wurde auf 4765 +/- 90 v. Chr. datiert; sie bestand aus Holzkohle und könnte von einem natürlichen Waldbrand herrühren, also nichts mit menschlicher Aktivität zu tun haben, andererseits, spekulieren Heizer und Bennyhoff [10], könnte diese Probe nahe legen, dass Cuicuilco B kurz als Wohnstätte für Jäger und Sammler gedient hat.
Die andere Probe, UCLA 601, datiert auf 2160 +/- 120 v. Chr. [11] Auch sie hat nichts mit der Cuicuilco-Pyramide zu tun, die uns hier eigentlich beschäftigt, kann also auch keine Hinweise auf ein höheres Alter des zu besprechenden Objektes geben. Außerdem ist ein Alter von knapp 4000 Jahre nicht ungewöhnlich, die Probe würde entweder der vorkeramischen oder der frühen vorklassischen Periode zugeordnet werden, da sie in die Übergangszeit der beiden Epochen gehört.
Insgesamt gesehen gibt es keinen Grund zur Annahme, die Pyramide sei 8000 Jahre alt. Weder die Radiokarbondaten noch das daraus geschätzte Alter der Lava lassen diesen Schluss zu. Die ältesten C-14-Proben gehören noch nicht einmal zur besagten Pyramide. Ich möchte mich bei Walter-Jörg Langbein, Ulrich Dopatka und Paul Heinrich für die Hilfe bei der Recherche herzlich bedanken!
Anmerkungen
[1] Langbein 1998, S. 193
[2] Cummings 1923, S. 212; Hyde und seine Datierung werden auf S. 206 erwähnt.
[3] Ceram 1996, S. 390
[4] nach Siebenhaar 1984, S. 11
[5] Cummings 1933, S. 12f.
[6] Heizer/Bennyhoff 1972, S. 99-102; in Tabellenform: Cordova et al. 1944, S. 587
[7] Heizer/Bennyhoff 1972, S. 103
[8] Cordova et al. 1944, S. 592
[9] Siebe 2000, S. 62
[10] Heizer/Bennyhoff 1972, S. 95f.
[11] Siebe 2000, S. 50
Literatur
Ceram, C. W. (1996): Götter, Gräber und Gelehrte: Roman der Archäologie. Reinbek bei Hamburg
Cordova, Carlos und Martin del Pozzo, Ana Lillian und Camacho, Javier López (1994): „Paleolandforms and volcanic impact on the environment of prehistoric Cuicuilco, Mexico-City“, in: Journal of Archeological Science, Vol. 21, S. 585-596
Cummings, Byron (1923): „Ruins of Cuicuilco may revolutionize our History of Ancient America“, in: National Geographic Magazine, Vol. 44, S. 203-220
Cummings, Byron (1933): „Cuicuilco and the Archaic Culture of Mexico“, in: University of Arizona Bulletin, vol. 4, Nr. 8, S. 289 – 304
Heizer, Robert F. und Bennyhoff, James A. (1972): „Archeological Excavations at Cuicuilco – 1957“, in: National Geographic Reports 1955-1960, S. 93-104
Langbein, Walter-Jörg (1998): Bevor die Sintflut kam. Berlin
Siebe, C. (2000): „Age and archeological implications of Xitle volcano, southwestern Basin of Mexico-City“, in: Journal of Volcanology and Geothermal Research. Vol. 104, Nr. 1-4, S. 45-64
Siebenhaar, Wolfgang: „Gelehrtenstreit um die Pyramide von Cuicuilco“, in: Ancient Skies, Mai/Juni 1984, S. 11f.