Der Standort der Cheopspyramide ist aus geoarchäologischer Sicht ausreichend erklärt. Denoch scheinen nach Reinhard Prahl eine Reihe von Argumenten für eine überwiegend kultisch orientierte Standortwahl zu sprechen.
Einleitung
Aus rein geoarchäologischer Sicht lässt der Pyramidenstandort Gizeh-Plateau als solcher keine Fragen mehr aufkommen, seit Thomas Aigner sich eingehend mit den geologischen und geoarchäologischen Eigenschaften des Plateaus beschäftigt hat. [1] Eine andere, wichtige Frage ist allerdings, warum Cheops, nach Archäologenmeinung der Erbauer der ersten Pyramide an diesem Standort, sich ausgerechnet das am nord-östlichsten gelegene Gelände ausgesucht hat. Denn das dieses Gebiet zumindest m. E. im Gegensatz zum Standort der Chefren-Pyramide mehrere entscheidende Nachteile aufweist, welche die Planer des Pharaos ohne Schwierigkeiten erkennen mussten, soll im folgenden dargelegt werden. Aus den nachfolgenden Argumenten ergibt sich, dass die geologischen, bzw. logistischen Gesichtspunkte nicht alleine ausreichen, die Wahl der Cheops-Architekten zu erklären. Es soll ferner ein meiner Kenntnis nach recht neuer Ansatz vers
Geoarchäologische Begründung zur Standortwahl Gizeh-Plateau
Das Gizeh-Plateau überragt westlich von Kairo das Niltal . Es wird von dem „Mokattam-Gebirge“ genannten Kalksteinmassiv gebildet und verfügt über einen recht glatten Untergrund. Deshalb eignete es sich hervorragend zur Bebauung. [2] Im Nordwesten liegt eine Fossilienschicht, die sich überwiegend aus Nummuliten zusammensetzt und im Südosten und Nordwesten befindet sich ein bis zu 40 Meter hoher Steilhang. Im Süden wechseln sich harte und mergelige Schichten ab, so dass dieses Gebiet bestens geeignet war für die Nutzung als Steinbrüche.
Abb. 1: Die geologische Schichten des Giza-Plateaus.
Ein weiterer Vorteil war die relative Nähe zum Fruchtland, was die Ernährung der zahlreichen Pyramidenarbeiter erheblich erleichterte. Klemm und Klemm beschreiben die Standortvoraussetzung wie folgt:
„Der geologisch außerordentlich stabile Untergrund aus einem tektonisch gehobenen Block aus massivem eozänen Nummulitenkalk des oberen Eozän (oberes Lutet der Mokattam-Gruppe) gestattete problemlos die relativ enge Bebauung mit den drei großen Pyramiden, und es war offensichtlich ausreichend Gestein vorhanden, um die drei Kernbauten damit zu alimentieren. Das Giza-Plateau liegt zudem sehr nahe an Fruchtland und Kanal, und die Aufwege weisen ein moderates Gefälle auf.“ [3]
Nach Thomas Aigner [4] gibt es insbesondere zwei geologische Faktoren, die den Pyramidenstandort Gizeh überhaupt erst ermöglicht haben: Erstens ist der erforderliche feste Baugrund, der für den Bau einer Pyramide notwendig ist, gegeben – die aus festen Kalkstein bestehenden Sättel des Plateaus. Zweitens garantieren nur die aus Kalkstein aufgebauten Sättel auch die Bausteingewinnung im ausreichenden Maße. Wie oben angedeutet, besteht das gesamte Gebiet Gizeh aus mehreren Untergründen, die sich in festen und mergeligen Schichten abwechseln. Thomas Aigner schreibt hierzu:
„Angesichts der Gesteinsunterschiede innerhalb der Mokattam-Formation ist der Standort der drei großen Pyramiden von Cheops, Chefren, und Mykerinos ‚optimal‘ gewählt.“
Diese Formulierung ist gewiss absolut zutreffend, denn die Ägypter verstanden es hervorragend, die geologischen Gegebenheiten für ihre Zwecke auszunutzen, sei es, dass die im Südosten einfallende Sattelflanke in die Baukomplexe mit einbezogen wurden, sei es, dass die sich abwechselnden Schichten als Steinbruch verwendet wurden.
Gründe für die relativ „schlechte“ Wahl des Standorts der Cheopspyramide
Aus der oben geschilderten Sicht heraus, konnte man keinen besseren Bauplatz finden. Dennoch gibt es Argumente, die ausgerechnet die Wahl des Baugrundes für die Cheopspyramide meiner Ansicht nach recht unlogisch erscheinen lassen. Es gibt einige, m.E. sehr wichtige Argumente dafür, dass der Standort der Chefren-Pyramide für ein solches Grossunternehmen besser geeignet war. Da die Cheopspyramide allerdings das erste Bauwerk seiner Art in Gizeh war, stellt sich also die Frage, warum nicht dieser Bauplatz gewählt wurde. Schauen wir uns die oben angedeuteten Gründe näher an:
Erstens: Der Aufweg
1929 schrieb Hermann Junker über die Standortwahl der Cheopspyramide folgendes:
„Die günstigste Lage und Bodengestaltung zeigt die Pyramide des Cheops, die älteste der drei. Der Arbeitsweg ist der kürzeste, er weist die günstigsten Steigungsverhältnisse auf und die Grundfläche konnte mit dem geringsten Arbeitsaufwand hergerichtet werden. Die kürzeste Entfernung vom Flußlauf zu der Pyramide des Cheops beträgt 7 km, bei der Pyramide des Chefren 7.5 km und bei der Pyramide des Mykerinos 8 km. Die Längen des Aufweges sind bei der ersten Pyramide 370 (sic!, Anm. d. A.) m, bei der zweiten Pyramide 600 m und bei der dritten Pyramide 800 m.“ [5]
Wie gesagt ist dieser Bericht 74 Jahre alt und Junker ging bei seinen Betrachtungen von teilweise völlig falschen Daten aus. Der Aufweg der Cheopspyramide kann nämlich tatsächlich als längster und kompliziertester der drei Pyramiden angesehen werden. Das wird allein schon an den aktuellen Längenangaben der drei Aufwege deutlich, die ich hier Mark Lehner entnommen habe. Demnach beträgt die Länge des Aufweges der Cheopspyramide 739.80 m, der Chefrenpyramide 494.60 m und der Mykerinospyramide 608 m.
Schon Herodot erkannte, welchen Aufwand die Erbauung dieses monumentalen Meisterwerks gemacht haben muss:
„An Zeit habe das Volk, das bedrückt wurde, zehn Jahre gebraucht für den Weg, auf welchem sie die Steine zogen (nach allg.. Ansicht ist der Aufweg gemeint, Anm. vom Autor). Diesen Weg bauten sie als eine Arbeitsleistung, die nicht viel geringer ist als der Bau der Pyramide, wie mir scheint. Denn die Länge dieses Weges beträgt 5 Stadien (also etwa 990 m), seine Breite 10 Klafter (ca. 19.80 m), die Höhe da, wo er am allerhöchsten ist, acht Klafter (15.48 m).“ [6]
Georges Goyon widmet in seinem Buch ‚Die Cheopspyramide‘ dem monumentalen Aufweg einen 6-seitigen Abschnitt, dem wir sehr interessante Maße und Zahlen entnehmen können. Demnach hatte der Aufweg eine beachtliche Länge und Höhe zu überbrücken. „Die Richtung des Aufweges verläuft nicht senkrecht zur Pyramidenachse, sondern biegt von der Ost-West-Achse um 15° nach Norden ab…“ [7]
Abb. 2: Der Gesamtplan des Giza-Plateaus.
Kein anderer Aufweg auf dem Plateau weist eine so komplizierte Bauweise auf. Es war ein Bauwerk von „beachtlichen Ausmaßen“ notwendig, wie Goyon schreibt.Er errechnete ein Volumen von ca. 140.000 Kubikmeter. Der zu überwindende Steilhang hatte eine Höhe von 21.20 Metern, die Breite maß Goyon auf 18.35 Meter, die Verkleidung alleine war rund 2 Meter dick. Der Ägyptologe ging von einer Steigung von 3 Fingern, nach Goyon also = 0.748 cm (im HWB wird ein Finger allerdings mit 18,5 mm angegeben) pro Meter für die ersten 336 Meter des Aufweges bis zum Steilhang aus.
Als Gesamtlänge nahm er 663 Meter an. Zur Erinnerung: Lehner gibt 739.80 m und Zahi Hawass sogar 825 Meter Gesamtlänge an [8], wobei Hawass‘ Werte nach seinen Entdeckungen in Nazlet el Samman wohl der Wahrheit am nächsten kommen. Doch auch hier wird wohl, wie für viele Fragen bezüglich der Großen Pyramide, das letzte Wort noch nicht endgültig gesprochen sein.
Die von Herodot angegebene Bauzeit von 10 Jahren sah Goyon als relativ genau an. Die Ausgrabungen in Nazlet el Samman ergaben außerdem, dass entgegen der Ansichten des französischen Fachmannes der Aufweg sehr wohl einen Knick vollführte und zwar nach Zahi Hawass nach etwa 125 Metern vom Taltempel aus gesehen.
Klemm, Klemm und Murr stellen für die Standortwahl einer Pyramide in bezug auf den Aufweg folgende Forderung:
„(…) Dazu bedurfte es ohne Zweifel einer sorgfältigen Erkundung des in Aussicht genommenen Geländes, wo die genannten Faktoren, wie stabiler Untergrund, ausreichend Gesteinsmaterial vor Ort für die Kernbauten sowie gute Anbindungsmöglichkeiten an einen für Lastentransporte nicht zu steilen Aufweg gegeben waren.“ [9]
Vergleicht man aber vor allem diese letzte Forderung mit all den genannten Fakten bzgl. der drei Aufwege wird klar, hier ein gutes Argument dafür vorliegen zu haben, dass die Cheopspyramide nicht auf dem geeignetsten Bauplatz des Gizeh-Plateaus liegt. Denn im Grunde genommen wird dieses Kriterium nicht erfüllt. Im Gegenteil musste die Anbindung an die Schifffahrtsverkehrswege über einen knapp 21 Meter hohen Steilhang erfolgen.
Ich möchte hier noch einmal aus Klemm, Klemm und Murr zitieren:
„Nachteilig am Gizaplateau ist der begrenzte Platz selbst, der kaum weitere Großbauten zugelassen hätte, sowie der scharfe Abbruch im Osten der Cheops-Pyramide, der für den Aufweg mit Gesteinsblöcken ausgeglichen werden mußte was wiederum zu einer Verschiebung des Taltempels weit ins Fruchtland führte, wenn der Steigungswinkel des Aufweges moderat bleiben sollte.“ [10]
Hinzu kommt noch, dass die oben erwähnte nach Süd-Osten einfallende Sattelflanke sehr gut in einen Aufweg integriert werden konnte, wie bei dem Chefrenaufweg geschehen.
Zweitens: Die Steinbrüche
Auch die Lage der Steinbrüche, die für den Bau der Cheopspyramide erschlossen wurden, scheint eher für den logischeren Standpunkt Chefrenpyramide zu sprechen. Der größte und wichtigste Steinbruch liegt nach Mark Lehner westlich des südöstlich der Chefrenpyramide gelegenen Steinbruchs. Aber auch der Steinbruch südöstlich der Chefrenpyramide wurde nach allen Erkenntnissen von Cheops verwendet. Allerdings soll erwähnt werden, dass beide Steinbrüche im Grunde ein riesiges Areal bilden, wie man einer Zeichnung bei in Lehners ‚Geheimnis der Pyramiden‘ (S. 204/205) entnehmen kann.
Es kann nicht behauptet werden, dass dieses Areal näher an der Cheopspyramide liege, als die Chefrenpyramide. Im Gegenteil scheint es eher so zu sein, dass zumindest große Teile des Steinbruchgebietes besser, zumindest aber gleichgut für das Gelände der zweiten Pyramide geeignet scheint. Erstens konnte der im Bau befindliche Aufweg der Pyramide im Gegensatz zu dem des Cheopsareals zum Steintransport mitgenutzt werden, zweitens musste die Rampe von der Großen Pyramide aus betrachtet mindestens in zwei großen „Strahlen“ auslaufen, um eine effektive Nutzung des Steinbruchs gewährleisten zu können, während von der Chefrenpyramide aus eine lange gerade Rampe gebaut werden konnte, die bei Bedarf nur verlängert zu werden brauchte. [11]
Hinzu kommt noch, dass sich gerade für die erste der Gizehpyramiden nach Klemm & Klemm nachweisen lässt, „… daß dieser Herrscher Material aus nahezu allen Kalksteingebieten Ägyptens zum Bau seiner Pyramide verwendete.“ [12] Auch hier lag Junker mit seiner Argumentation (s. o.) also augenscheinlich nicht richtig.
Drittens: Die allgemeine Lage
Wie wir oben gesehen haben, verfügt die Chefrenpyramide mit 494.60 Metern über den kürzesten aller drei Aufwege. Dies bedeutet auch der Weg zum Hafen, der künstlich angelegt war, muss kürzer gewesen sein als der Weg, der von der Cheopspyramide zurückgelegt werden musste. Die Standorte der Hafenanlagen des Gizeh-Plateaus können indes leider nicht sicher rekonstruiert werden, wie ein Blick in die einschlägige Literatur zeigt. Klemm, Klemm und Murr weisen darauf hin, dass Goyon einen einzigen großen Hafen für die Pyramiden des Cherfren und Menkaura vorschlug, während Lehner nur für den Chefren/Sphinxkomplex einen Vorschlag wagt. [13]
Diese wenigen Beispiele mögen die Problematik verdeutlichen. Jedoch wird für Cheops von allen Autoren, so weit ich sehe, eine eigene Hafenanlage angenommen, die nach Ausgrabungen von Zahi Hawass etwa 500 m östlich des Taltempels gelegen haben dürfte. Freigelegte Blöcke legen diesen Schluss zumindest nah. [14]
Zuzüglich musste noch die über 20 Meter hohe Steilwand überwunden werden, wie der bereits erwähnten Grafik in Mark Lehners Buch zu entnehmen ist. Selbst der natürliche Felsen, der einen Teil des Kernmauerwerks der Cheopspyramide einnimmt, kann nicht als Vorteil betrachtet werden, erstens weil die Chefrenpyramide wahrscheinlich ebenfalls über einen massiven Felskern verfügt und zweitens weil das Gelände der Chefrenpyramide höher, als das der Großen Pyramide liegt. Chefrens Pyramide war etwa 3 Meter kleiner, als die seines Vorgängers und erschien rein optisch doch als größte, auf dem Gizeh-Plateau.
Weiter wäre zu erwähnen, dass das monumentale Tor der Krähenmauer, die wahrscheinlich den Eingang zur Nekropole bildete und von Cheops erbaut wurde, ausgerechnet von seiner Pyramide am weitesten entfernt lag. Gleiches gilt für die von Mark Lehner angenommene und durch Ausgrabungen bestätigte Lage der Arbeiterunterkünfte – in Lehners Grafik mit der Nr. 3 bezeichnet – sowie für die ausgegrabene Stadt.
Es scheint zwar glaubhaft, dass das einfache Volk vom Pharao fern gehalten werden sollte, doch nicht, dass sie die weitest mögliche Entfernung zum Arbeitsplatz in Kauf zu nehmen hatten. Topografisch betrachtet liegen aber sowohl die Arbeiterunterkünfte, als auch die von Lehner ausgegrabene Stadt an der günstigsten Stelle. So bleibt meines Verständnisses nach nur die Tatsache der leichteren Nivellierung des Bodens der Cheopspyramide als Argument für diese Standortwahl für die erste Pyramide auf dem Plateau.
Ansonsten spricht anscheinend alles für den Standort der Chefrenpyramide.
All die oben angeführten Argumente lassen mich zu dem Entschluss gelangen, dass es für die Geologen und Architekten Cheops in jeglicher Hinsicht logischer – weil günstiger – gewesen wäre, die Große Pyramide an die Stelle zu erbauen, an der heute die Chefrenpyramide steht. Es stellt sich nun die Frage: Wenn ich recht habe, warum ist dem nicht so?
Kultische Gründe für die Standortwahl?
Da weder geologische, geoarchäologische, noch topografisch bedingte Gründe in Betracht kommen, bietet sich eine kultisch orientierte Begründung zur Standortwahl an. Der Gedanke ist nicht neu. Thomas Aigner z.B. schrieb 1982:
„Diese Verteilung der Pyramiden ist sicher nicht zufällig. Mehrere Gründe mögen dabei für die Standortwahl ausschlaggebend gewesen sein. Zum einen war wohl aus kultischen Gründen eine topographische Hochlage der Monumente auf einem natürlichen Sockel erwünscht.“ [15]
Und Mark Lehner äußerte sich 1997 folgendermaßen:
„Neben rein praktischen Erwägungen mag auch ein religiöser oder kosmischer Impuls die antiken Landvermesser beeinflußt haben, über den wir nur spekulieren können. Vielleicht zeigte die Diagonale nord-östlich nach Heliopolis, der Heimat des ben-ben, und südwestlich in Richtung des Unterwelteingangs des ersten königlichen Friedhofs von Abydos.“ [16]
Die hier zitierten Hypothesen können m.E. nicht recht überzeugen. Im ersten Falle ist anzumerken, dass lange nicht alle ägyptischen Pyramiden des Alten Reichs in einer solch hohen Position anzutreffen sind, wie die von Cheops, Djedefre (außerhalb von Gizeh, Anm. vom Autor), Chefren und Mykerinos. Das zweite Argument überzeugt nicht. Obwohl vorstellbar ist, dass gewisse heilige Orte eine Rolle spielten, müssen auch Gründe in Gizeh selbst vorgelegen haben, die Cheops bewegten, seine Pyramide an genau dieser Stelle errichten zu lassen, an der wir sie heute bewundern.
Ein neuer Vorschlag
Ein neuer Ansatz für das Verständnis der Standortwahl des Pharaos Cheops für seine Pyramide könnte in der Möglichkeit begründet sein, dass Gizeh in der ersten Dynastie schon sehr lange ein heiliger Ort gewesen ist. In meinem für die Vereinszeitung der Hobbyägyptologischen Gemeinschaft Bremervörde geschriebenen Bericht ‚Das Osirisgrab‘ bezog ich mich dahingehend auf einen Artikel von Herrn Dr. Klaus-Ulrich Groth, dass das sogenannte „Osirisgrab“, ein Schachtgrab- und Tunnelsystem, das sich bis in eine Tiefe von 30 Metern zwischen der Chefren-Pyramide und dem Sphinx erstreckt, dass Zahi Hawass kürzlich (wieder)entdeckt hat [17], nach Ansicht von Prof. Hassan mindestens 5000 Jahre alt sein könnte.
Abb. 3: Das Kammernsystem der Cheopspyramide.
Weiterhin ist darauf hinzuweisen, dass die Nekropole von Gizeh altägyptisch Ro-setau, hieß, was im HWB und bei H. Kees‘ ‚Götterglaube im alten Ägypten‘ [18] mit „Mündung der Gänge“ übersetzt wird. Diese Bezeichnung „Mündung der Gänge“ könnte sich durchaus auf das in Verbindung mit dem „Osirisgrab“ entdeckte Gängelabyrinth beziehen. [19] Wenn Hassan mit seiner Datierung recht hatte, wäre dies ein weiterer Beleg für das hohe Alter des Plateaus. Ein weiteres Indiz darf in der Tiefe des Schachtes gesehen werden, der bei etwa 30 Meter liegt.
Es ist schon bezeichnend, dass die sogen. „Unvollendete Kammer“ in der Großen Pyamide in derselben Tiefe liegt. Von dieser Kammer aus führt ein etwa 15 Meter langer Gang ab, der offensichtlich unvollendet blieb. Sollte hier eine Verbindung zwischen der „Mündung der Gänge“ und der Pyramide hergestellt werden?
Eine Wiederentdeckung und erneute Nutzung des „Osirisgrabes“ ab der 18. Dynastie und später noch einmal in der 26. Dynastie ist alleine aufgrund der Geschichte dieser Dynastien, für die Gizeh eine wichtige religiöse Rolle einnahm, durchaus wahrscheinlich. Denn gerade in der 26. Dynastie erlebte Ägypten eine regelrechte Renaissance der Kunst und der Religion des Alten Reichs.
Auch Miroslav Verner möchte offenbar die Möglichkeit nicht völlig ausschliessen, dass kultische Gründe die Motivlage begünstigten:
„Die Diskussion um die Große Pyramide und ihre komplizierte Infrastruktur wird sicherlich noch lange fortdauern. Dazu sei noch folgende Passage aus dem Papyrus Westcar zitiert: ‚Seine Majestät Chufu verbrachte Zeit mit der Suche nach geheimen Kammern im Heiligtum des Thot in Heliopolis, um für seinen Horizont etwas Ähnliches hervorzubringen.‘ Bekanntlich hieß Chufus Pyramide ‚Horizont des Chufu‘. Demzufolge besaßen die Verfasser des Papyrus schon im Mittleren Reich gewisse Vorstellungen vom komplizierten Raumplan und dachten über dessen Ursprünge nach.“ [20]
Passend sei ein weiterer Text aus dem Hitat [21] erwähnt, der die Große Pyramide dem Thot zuordnet. Diese Kammern des Thot wurden übrigens neuerdings auch von Zahi Hawass wieder ins Spiel gebracht. Der Ägyptologe und Leiter der Antikenverwaltung Saqqara/Gizeh-Plateau erwähnte sie in einer am 22. Juni im ZDF ausgestrahlten Dokumentation über die Große Pyramide in Bezug auf die neuesten Untersuchungen der sogen. „Lüftungsschächte“, die am 16/17.09.02 durch ein Team der National Geographic Society nach neun jähriger Pause weiter erforscht wurden.
Doch es gibt auch archäologische Hinweise auf eine intensive Nutzung des Gizeh-Plateaus in frühdynastischen Zeiten. Als erstes sei hier das sogenannten „Covingtons Grab“ erwähnt, eine Mastaba – vielleicht aus der 3. Dynastie. [22] Sicher gab es aber auch Grabanlagen aus noch wesentlich früherer Zeit auf dem Plateau. Rainer Stadelmann schreibt hierzu:
„Das Hochplateau von Giza war kein jungfräulicher Grund; Mastabagräber der 1. bis 3. Dynastie säumten die Abhänge, unter ihnen Prinzen- oder Fürstengräber der 1. Dynastie auf den beherrschenden Hügeln.“ [23]
Stand auch auf dem Baugrund der Cheopspyramide eine Mastaba?
Dem scheint tatsächlich so zu sein. Jedenfalls wird diese Annahme durch zwei Hinweise gestützt. Zuerst sei die sogenannte „Grotte“ erwähnt. Laut Perring befindet sich diese 6.70 Meter unterhalb des Plateaus von Gizeh, direkt unter der Großen Pyramide und zwar neben dem „Grabräuberschacht“. Ein Teil dieses höhlenartigen Raumes ist nach Goyon [24] mit 18×20 cm großen, gut behauenen Steinen verkleidet.
Abb. 4: Die Felsgrotte unter dem Kernmauerwerk der Cheopspyramide.
In dieser, vielleicht, übriggebliebenen Grabkammer einer frühen Mastaba befindet sich ein behauener Granitblock, der bisher nicht hinreichend gedeutet werden konnte. Ein Teil des 0,66 x 0.68 cm engen „Grabräuberschachtes“, der die Große Galerie mit dem Absteigenden Gang verbindet, ist genau an der Stelle, an der sich die „Grotte“ befindet, sehr gerade gearbeitet und könnte gut ein Reststück des Grabschachtes dieses alten Grabes sein, der in den Bau des Verbindungsschachtes mit einbezogen wurde.
„Demzufolge muß man wohl einräumen, daß es sich um Schacht und Gruft einer alten, verlassenen Mastaba handelt.“ [25]
Und Stadelmann:
„Sie (die Mastabas aus der 1. Bis 3. Dynastie, s.o., Anm. d. A.) wurden bei den Steinbrucharbeiten im nordöstlichen Bereich rücksichtslos beseitigt, darunter vielleicht auch ein Grab, dessen Schacht unter der Pyramide selbst gelegen war und dabei aufgefüllt wurde, wenn es nicht eine natürliche Felsgrotte gewesen ist.“ [26]
An diese Möglichkeit scheint der Autor jedoch selbst nicht richtig zu glauben, wenn ich den Text richtig interpretiere und des weiteren haben wir ja auch noch den übriggebliebenen Granitblock in der „Grotte“, sowie die Tatsache, dass Teile der Kammer noch verkleidet zu sein scheinen, wie Goyon ja berichtet.
Ein zweites Indiz für eine sehr alte Grabkammer findet sich im Totentempel. Hier wurden im Hof zwei Drainagen freigelegt. Die erste ist ein nord-südlich verlaufender Grab und ist 70 bis 90 cm breit und 45 bis 50 cm tief. [27] Er verläuft unterhalb des Basaltpflasters. Sie wurde mit Kalksteinblöcken aufgefüllt und demnach aufgegeben. Sie liegt 1.30 m tiefer als die andere Drainage, die nicht aufgegeben wurde. [28]
Die wesentlich größere Tiefe weist m. E. darauf hin, dass dieses Bauelement wesentlich älter ist, als der Rest des Hofes. Thomas von der Way gibt in seinem Aufsatz ‚Die Grabungen in Buto und die Reichseinigung‘ eine stratigrafische Schicht mit einer Tiefe von etwa 1.50 Meter an. Diese Schicht bezieht sich hier auf einen Zeitraum von etwa 200 Jahren. Da man aber davon ausgehen muss, dass vom Zeitpunkt des Baues des ersten Grabes, bis zum Bau der Cheopspyramide das Gelände weiterhin unbebaut blieb – sonst wären die erwähnten Reste, „Grotte“ und Drainage nicht mehr vorhanden – kann man nicht wissen, wie viele Jahre die stratigrafische Schicht in diesem Fall umfasst. Auf jeden Fall war allem Anschein nach Gizeh bereits um 3000 v.Chr. ein heiliges Gebiet.
War das der Grund für die Standortwahl des Cheops, hier und nicht an der Stelle, an der heute die Chefrenpyramide liegt, sein monumentales Grabmal anzulegen? Ich vermute es, eine andere Begründung sehe ich nicht. Die Frage, die sich nun aus der archäologischen und mythologischen Beleglage ergibt ist, wie alt ist das Gizeh-Plateau?
Die Aussagen des Papyrus Westcar und der Name „Mündung der Gänge“ versetzen den Beginn der Bebauung des Gizeh-Plateaus in mythologische Zeiten zurück. Bestätigend wirken sich die Aussagen des Hitat aus. Leider konnte mir bisher kein Ägyptologe die Frage beantworten, auf welche Schriften und mündliche Überlieferungen sich die Araber bezogen, die im Hitat erwähnt sind. Herr Prof. Dr. Schneider von der Universität Basel schrieb mir, dass den Aussagen des Hitat sicher keine historisch korrekten Aussagen mehr entnommen werden können. Aber irgendwo müssen die Araber die Erzählungen ja herhaben. Einige der arabischen Schriftgelehrten berufen sich auf koptische Überlieferungen. Die ägyptische Sprache wird heute zu großen Teilen nach der koptischen Sprache rekonstruiert, da sie der direkte Nachfahre der Pharaonensprache ist. Das gilt auch für viele koptische Traditionen.
Verweisen diese, wie die koptische Sprache in pharaonische und evtl. noch frühere Zeiten? Wir wissen es nicht, aber unmöglich scheint es nicht ganz zu sein.
So ergäbe die problematische Standortwahl des Cheops einen Sinn, denn er musste seine Pyramide auf diesen heiligen Grund und Boden setzen, weil schon etwas heiliges da war. Aber was kann das gewesen sein? Eine Pyramide, die älter als der Bau ist, den wir heute sehen? Oder eine Mastaba wie Goyon und Stadelmann postulieren? Oder hat Cheops gar die Große Pyramide nur restauriert? Wenn es von der unterirdischen Kammer der Pyramide aus eine Verbindung zum Osirisschacht geben sollte und dieser aller Wahrscheinlichkeit nach mindestens aus der Zeit um 3000 v.Chr. stammt, wie Hassan darlegte, kann Cheops nicht der Erbauer dieses unterirdischen Kammersystems gewesen sein. Die Frage aber ist: Wer dann?
Ich danke Herrn Prof. Schneider für die private Mitteilung vom 18.07.02.
Anmerkungen
[1] vgl. Aigner 1982
[2] siehe Lehner 1997, S. 106
[3] Klemm, Klemm und Murr 1998, S. 174
[4] Aigner 1982, S. 382
[5] Junker 1929, S. 4
[6] zitiert nach Roeder 1998, S. 44
[7] Goyon 1979, S. 107
[8] siehe Hawass 1997
[9] Klemm, Klemm und Murr 1998, S. 179
[10] ebd.
[11] zu entnehmen einer Grafik in Klemm und Klemm 1993, S. 54, vgl. auch hierzu Lehner 1997, S. 204/205
[12] Klemm und Klemm 1993, S. 20
[13] Klemm, Klemm und Murr 1998, S. 179
[14] so in Hawass 1997; entnommen aus Klemm, Klemm & Murr.
[15] Aigner 1982, S. 381
[16] Lehner 1997, S. 106
[17]
Groth 2001, S. 13ff; Erstentdecker war nach Dr. K. U. Groth, der sich auf H. S. Lewis ‚La Prophétie symbolique a la grande Pyramide‘, 2. Aufl. 1988 bezieht, Prof. Selim Hassan, der seine Entdeckung 1935 publizierte.
[18] Hannig 1995, S. 459; Kees, 1956
[19] Siehe Prahl 2002
[20] Verner 1999, S. 235
[21] Graefe 1911
[22] zur Lage der Covington´s Grab vgl. u. a. Lehner 1997, S. 107
[23] Stadelmann 1997, S. 107
[24] Goyon 1979, S. 114
[25] ebd.
[26] Stadelmann 1997, S. 107
[27]
Ausführliche Beschreibung des Drainagesystems unter:
„Die Große Pyramide des Königs Cheops in Giza: Der Pyramidentempel II“, Stand: 20.10.03
[28] Lauer, zit. nach Lorenz:
„Die Große Pyramide des Königs Cheops in Giza: Der Pyramidentempel II“, Stand: 20.10.03
Abbildungsverzeichnis
[1] Lehner 1997, S. 106
[2] Verner 1998, S. 253
[3] Lehner 1997, S. 111
[4] Haase 1998, S. 120
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