Die Mayaforschung stand seit der berühmten Konferenz 1973 in Palenque nicht still. Lesen sie die aktuellen Interpretationen zur Grabplatte von Palenque und deren Auswirkungen auf These des raumfahrenden Maya-Herrschers Pacal.
Frakturen in Raum, Zeit und Theorie
Seit mehr als 30 Jahren gilt eine Darstellung des Königs Pacal von Palenque in der Präastronautik als wesentliches Indiz für den Besuch Außerirdischer in der Vergangenheit. Das Indiz – eigentlich wird sogar von einem „Beweis“ gesprochen – besteht aus einer Darstellung des Königs auf einer Platte, die Pacals Sarg bedeckt.
Die Darstellung wird von den Befürwortern so beschrieben [1]:
„Da sitzt ein menschliches Wesen, mit dem Oberkörper vorgeneigt, in Rennfahrerpose vor uns; sein Fahrzeug wird heute jedes Kind als Rakete identifizieren. Das Vehikel ist vorn spitz, geht über in merkwürdig gerillte Ausbuchtungen, die Ansauglöchern gleichen, wird dann breiter und endet am Rumpf in eine züngelnde Feuerflamme. Das Wesen selbst, vornübergeneigt, bedient mit den Händen eine Reihe undefinierbarer Kontrollgeräte und setzt die Ferse des linken Fußes auf eine Art von Pedal.
Seine Kleidung ist zweckentsprechend: Eine kurze, karierte Hose mit einem breiten Gurt, eine Jacke mit modernem japanischem Halsausschnitt und dicht abschließende Arm- und Beinbänder. Es würde, in Kenntnis korrespondierender Darstellungen, verwundern, wenn der komplizierte Hut fehlen würde! Er ist da mit Ausbuchtungen und Röhren, wieder eine antennenähnliche Kopfbedeckung. Unser so deutlich dargestellter Raumfahrer ist nicht nur durch seine Pose in Aktion – dicht vor seinem Gesicht hängt ein Gerät, das er starrend und aufmerksam beobachtet. Der Vordersitz des Astronauten ist vom hinteren Raum des Fahrzeugs, in dem man gleichmäßig angeordnete Kästen, Kreise, Punkte und Spiralen sieht, durch Verstrebungen abgetrennt.“
Schrift, Kultur, Religion und Königtum der Maya sind heute in großer Breite und ausreichender Tiefe erforscht, so dass es nun eigentlich die richtige Vorgehensweise wäre, die Argumente aus diesem Bereich, die für oder gegen ein Raumschiff sprechen, zu besprechen und abzuwägen. [2] Aber solche Argumente gibt es bis heute nicht! Und somit stehe ich vor der unangenehmen Aufgabe, aus dem wirren Knäuel an Vermutungen, Verdrehungen und Zirkelschlüssen, aus Abschreibfehlern und unhaltbaren Vorwürfen gegen die Altamerikanistik das herauszufiltern, was an echter Argumentation übrigbleibt. Erst nachdem das geschehen ist, kann auf die Argumentation der Wissenschaft eingegangen werden.
Von Däniken hatte sich Jahre nach der obigen Erklärung nocheinmal mehr oder weniger ausführlich mit der Grabplatte befasst. [3] Zwischenzeitlich, so Däniken, wusste er auch „was einzelne Glyphen bedeuten“ und kommt trotz einer „Relativierung“ seiner Raumschiff-These zu keinem anderen Schluß. Seine Begründung für die Aufrechterhaltung der These besteht in erster Linie darin, dass sich selbst die Ansichten der untersuchenden Archäologen so weit widersprechen, dass die gesamte archäologische Interpretation auf „wackligen Füßen“ steht. Leider führt er diesen Vorwurf nicht weiter aus. [4] Er profitiert lediglich davon, dass im Erscheinungsjahr seines Buches, 1984, ein nicht unerheblicher Teil der Inschriften noch nicht in Monographien übersetzt war. Dennoch wäre es ihm möglich gewesen, sich einigermaßen ausführlich mit der Symbolik der Platte zu befassen, doch leider übergeht er alle zur Verfügung stehenden Informationen in typisch dänikianischer Überheblichkeit. Von Däniken argumentiert [5]:
„Ich bin nicht der Meinung, die Grabplatte zeige eine Raumfahrerkapsel in technisch perfekter Manier“.
Dänikens Aussage ist eindeutig: das Bild stellt seiner Ansicht nach keine technisch perfekte Wiedergabe dar. Neben Däniken gibt es noch einen weiteren Befürworter der Palenque-Raumschiffs-These: Peter Fiebag. Dieser schrieb ein ausführliches Buch zur Thematik, in dem er neben einigen Standard-Archäologiequellen auch weitreichend bezug auf Erich von Däniken nimmt – und diesen auch zitiert. So zum Beispiel den oben angeführten Satz.
Nur sieht dieser bei Peter Fiebag plötzlich so aus [6]:
„Ich bin der Meinung, die Grabplatte zeigt eine Raumfahrerkapsel in technisch perfekter Manier.“
Erstaunlich: Wo ist denn von Dänikens „nicht“ geblieben? Gerade eben sah dieser in der Platte ausdrücklich keine exakte Darstellung. Peter Fiebag aber, wie man aus seinen nachfolgenden Argumenten entnehmen kann, schließlich doch. Er verwendet daher ein Zitat des Altmeisters von Däniken als Beleg seiner gegensätzlichen These – durch Auslassung eines kleinen, unscheinbaren Worts. Diese Aussagen-Transmutation ist selbst für PS-Alchimisten außergewöhnlich. Ein Abschreibefehler? Es ist vielleicht gleichgültig, wie man die Platte behandelt – nach PS-Gustus kommt hinten immer ein Raumschiff heraus!
Nach von Däniken handelt es sich um die Darstellung eines Maya-Priesters, der der Nachwelt eine „bildliche Darstellung“ eines extraterrestrischen Besuches hinterlassen wollte. Dabei soll der Priester nichts von Technik verstanden haben, sondern nur das wiedergegeben haben, was er selbst gesehen hatte. [7] In diesem Sinne handelt es sich, so von Däniken weiter, um eine „naive Bildkomposition“. Zweifellos also keine „technisch perfekte Manier“.
Bei Fiebag sieht das anders aus. Seine Argumentation zielt deutlich darauf ab, dass die Platte ein Raumschiff in „technisch perfekter Manier“ zeigt. Dazu zitiert er den ungarischen Ingenieur Tóth [8]:
„In Gedanken entfernen wir die reinen Symbole…, zeichnen nach den Gesetzen der technischen Zeichnung die sichtbaren Kanten und Konturen nach, ziehen wir die Mittellinie und setzen den Piloten in den Sitz…“
Dies und die Fortführung dessen zeigt, dass die sog. „Rekonstruktion“ aus Weglassungen und Hinzufügungen nachträglich aber nicht ursprünglich zur „technisch perfekten Manier“ erhoben wird. Genausogut könnte man eine Perry Rhodan-Risszeichung als Grundlage nehmen. Auch ein Vergleich mit der dazugehörigen Zeichnung [9] zeigt, dass die „technisch perfekte Manier“ von der Darstellung auf der Platte weit entfernt ist. Welche Schlussfolgerungen ich daraus ziehen könnte und welche Argumente man damit für eine Darstellung eines Raumschiffes finden mag, entzieht sich meiner Kenntnis. Allein der Umstand, dass man so oder so davon ausgehen müsste, dass ein Indianer aus dem Beobachten eines Raumschiffs eine „Querschnittzeichung“ erstellt haben könnte, führt zu Problemen solchen Ausmaßes, dass die Befürworter dieser These auf eine Stellungnahme zu dieser zwangsläufigen Konsequenz lieber verzichtet haben. Auch von Däniken muss irgendwie übersehen haben, dass – ein Raumschiff angenommen – es so nicht gesehen worden sein kann.
Wie schon vor ihm von Däniken führt auch Fiebag die unterschiedlichen Auffassungen der Wissenschaftler über die Grabplatte an, was nicht viel Sinn macht, da der Großteil dieser Meinungen erheblich vor der entscheidenden Entzifferung geäußert wurde und nur noch antiquarischen Wert besitzt. [10] Die dazwischenliegenden Lesungen der modernen Maya-Forschung von Sabloff, Schele und Freidel widersprechen sich keineswegs. Und damit ist seine Vorab-Schlussfolgerung, „bis heute gibt es keine einheitliche offizielle Meinung zur ‚Lesart‘ des Sargdeckels“, leider falsch und frei erfunden.
Zunehmend groteske Züge nimmt eine weitere Behauptung Fiebags an, die man genau lesen sollte [11]:
„Noch 1990/91 hatten Schele und Freidel behauptet, es müsse eine Reise des Maya-Königs nach Xibalba zum „Ort der Angst“ abgebildet sein. 1992 gelangten dieselben Wissenschaftler zusammen mit dem Ethnologen Parker zu der Erkenntnis, dass Xibalba nicht immer mit der Unterwelt lokalisiert wurde.“
Darauf folgt ein Zitat ohne Literaturangabe, in dem Schele Xibalba mit der Milchstraße gleichsetzt. Scheles Werk von 1990/91 ist aber eindeutig mit der Fußnote 9 versehen, und bezieht sich damit auf „A Forest of Kings“, und dort steht in der deen Übersetzung, die direkt aus dem amerikanischen erfolgte: „Bei Sonnenuntergang wechselt Xibalba auf den Platz über der Erde, um dort zum Nachthimmel zu werden.“ [12] Und noch detaillierter wird auf S. 66 sogar die Begründung der Maya-Astronomie auf die Lage Xibalbas im Himmel zurückgeführt. Der ganze Beleg und die Anspielung, Schele hätte mit der Lage von Xibalba ihre Meinung geändert, ist ebenfalls nur erfunden! Wozu das überhaupt gut gewesen sein soll, bleibt ebenso unklar. Offensichtlich geht Fiebag davon aus, dass das Vorspielen einer unklaren wissenschaftlichen Ansicht ihm den nötigen Spielraum für seine Interpretationen gibt. Aber vielleicht spricht Fiebag ja auch von einem Werk von Freidel & Schele und Parker, das er nur vergessen hat zu erwähnen?! So eines gibt es tatsächlich, nämlich „Maya Cosmos“ [13], aber das ist nicht von 1992, sondern von 1993. Und auch dort ist auf S. 87 unzweideutig zu lesen:
„When the Milky Way is lying down flat, rimming the horizon, the area overhead is completely dark. This is the portal into which Pakal falls on his sarkophagus lid and out of which beeings of the Otherworld emerge.“
Gewissermaßen der Höhepunkt des Vortrages wird auf den Seiten 44-48 erreicht. Fiebag pickt sich ein paar Symbole heraus, die in der Mayaforschung „kosmische“ Bezüge aufweisen. Es sind die Symbole des Wacah Chan oder z.B. die des Himmelsmonsters, aus denen das sog. Raumschiff selbst besteht. Genau diese „kosmischen“ Bezüge, die sich aus den Symbolen ableiten, führen ihn schließlich zu der Feststellung, dass es sich dabei um die Darstellung eines Raumschiffs handelt. Der Zirkelschluss seiner Darlegung, dass nämlich die Symbole selbst sein Raumschiff bilden, fällt ihm gar nicht auf! Die Symbole sollen beweisen, dass sie keine Symbole, sondern eine technische Zeichnung sind, während die technische Zeichnung die Aussage der Symbole bestätigt und zeigt, dass die Symbole in Wirklichkeit eine technische Zeichnung bilden. Wie an dieser Stelle noch erklärt werden könnte, dass es sich um eine Darstellung in „technisch perfekter Manier“ handelt, bleibt ein unergründbares Geheimnis, auf das auch mit keinem weiteren Wort mehr eingegangen wird.
Dass die Altamerikanisten diesen Zirkelschluss nicht mitmachen, kommentiert Fiebag schon vorab und ohne, dass er auch nur irgendetwas von Wert herausgefunden hätte, so [14]:
„Aber es paßt eben nur schlecht in das verkrustete Weltbild mancher Forscher.“
Wenn sich Fiebag schließlich doch noch zum Versuch einer Argumentation durchringen kann, endet es fast dramatisch. Richtig stellt er fest, dass sich auf dem Wacah Chan, dem Weltenbaum, der die Szenerie bestimmt, die Hieroglyphe te für Baum befindet. Aber daraus wird nichts, denn seiner Meinung nach ist damit nur ein „baumähnlicher Gegenstand“ dargestellt – ein Raumschiff also! Nicht nur, dass ein Baum beim besten Willen keine Ähnlichkeit mit einem Raumschiff hat, und dass die Rekonstruktion, die Fiebag seinen Lesern selbst anbietet, mit einem Baum überhaupt nichts zu schaffen hat – die Annahme, dass dort Baum draufsteht, weil damit ein Baum gemeint ist, ist für ihn nicht nachvollziehbar. Und so entsteht – gewissermaßen als Krönung – ein doppeltes Fazit. Zunächst nämlich wird festgestellt, dass er aus seiner Darlegung keine Widersprüche zu einem „stilisiert“ dargestellten Raumschiff findet. [15] Aber schon mit der Bildunterschrift zu Abbildung 14 wird es zur Gewissheit: „Hieroglyphen bestätigen: Die Grabplatte zeigt einen Menschen in einem Raumfahrzeug.“
Obwohl ich ein fleißiger Konsument grenzwissenschaftlicher Literatur bin, ein solcher Unfug ist mir noch nicht untergekommen. Das unglaubliche an dieser Geschichte ist, dass Fiebag die Literatur, die ihm Stück für Stück erklärt, was auf der Platte zu sehen ist und was es im Einzelnen bedeutet, zur Verfügung steht. Schließlich verweist er ständig auf sie. Diese Information, und allein sie wäre wichtig gewesen, stellt er dem Leser nicht zur Verfügung! Das mag zu einem guten Teil daran liegen, dass Fiebag mit vielen Begriffen so umgeht, als hätte er sie das erste Mal in seinem Leben gehört. Allein schon seine Ausdeutung des kosmischen Monsters auf S. 45 beweist, dass er von der ganzen Materie nicht die geringste Ahnung hat. Hätte er die Bücher wirklich gelesen – in diesem Falle ausgerechnet „Maya Cosmos“ – dann wüsste er, dass damit nicht ein „Weg ins All, vorbei an Sonne und Planeten“ gemeint ist [16], sondern der Punkt der Milchstraße, der von der Erde aus gesehen die Ekliptik kreuzt. [17] Allein mit dieser Feststellung wäre schon die ganze Symbolik der Platte erläutert! Auch sein Verständnis des Begriffes „Kosmos“ ist völlig falsch und wird in der Altertumswissenschaft ganz anders gebraucht. Für ihn stellt sich darin die moderne Begrifflichkeit des Weltalls dar – und zwar auch dann, wenn er die Wissenschaft zitiert. Diese aber meint mit „Kosmos“ das räumliche und zeitliche Gebilde der Umwelt einer Kultur, d.h., z.B. ihr Kalenderwesen, ihr Sozialsystem, und gemeint ist auch ausdrücklich die Unterwelt. [18]
Jede weitere Besprechung des Fiebagschen Vortrags wäre reine Zeitverschwendung und würde in eine Buchbesprechung münden. Argumente für ein Raumschiff würde auch das nicht ergeben. Das stellt den Kritiker vor ein völlig neuartiges Problem: Was soll er eigentlich kritisieren? Die bloße Behauptung, Pacal würde per Raumschiff ins Weltall starten, hat den wissenschaftlichen Wert eines SF-Romans. Außer „Sieht-aus-wie“ hat die These nichts zu bieten, und dank des Zirkelschlusses ist nicht einmal diese berühmte PS-Technik anzuwenden. Die Besprechung der Symbole ist ein riesengroßes Durcheinander. Sinnvoll wird es sein, wenn man statt der Peinlichkeiten einfach die Darstellung auf der Platte möglichst genau bespricht. Ein Urteil über die Darstellung wird man schlechterdings nur fällen können, wenn man sich mit ihrem Inhalt auseinandersetzt! Das soll auf den nächsten Seiten geschehen.
Die Bedeutung der Komposition
Teil I: Wacah Chan
Die schon zitierte Bemerkung Thóts, „In Gedanken entfernen wir die reinen Symbole…“, hat einen interessanten Nebeneffekt: Entfernt man nämlich die Symbole, dann ist die Platte leer! Wie in der Ikonographie der Maya üblich, ist auf der Platte nichts anderes dargestellt als Symbole und Schrift. Und diese betrachten wir nun etwas genauer.
Der Wacah ChanDas zentrale Element der Platte ist der Wacah Chan, der Weltenbaum der Maya. Die wörtliche Übersetzung hierfür ist „Aufgerichteter Himmel“. [19] Dass der Himmel aufgerichtet ist, ist eine unmittelbare Folge der Schöpfung, und damit schließen sich die Maya an praktisch alle großen Kulturen nach „kosmologischem“ Prinzip an [20], deren Schöpfung mit der Erhebung des Himmels begann und die große Ressourcen kultischer Aktivität investierten, damit ihnen der Himmel nicht auf den Kopf fallen möge. [21]. Das Motiv des Himmelstützens ist ein zentrales Motiv aller mesoamerikanischen Hochkulturen und mit den Olmeken mindestens bis in die Frühformative Phase um 1500 v.Chr. zurückzuverfolgen. [22] Aus der klassischen Zeit berichtet die Stele C aus Quiriguá über die Schöpfung. [23]. Ort der Handlung vor der Schöpfung ist Cha Chan – wörtlich: „Darniederliegender Himmel“. Noch unmittelbar vor der Schöpfung der Welt erscheint auch noch der Gott Itzamna, der auf einem Jaguar-Thron sitzt, welcher in einem Haus namens „Liegender-Himmel-Ort“ steht.
Im Kreuztempel von Palenque befindet sich die Inschrift, die von den weiteren Ereignissen berichtet. [24]
Danach beginnt der Akt der Schöpfung mit der Einweihung eines Hauses, das „Erhobener-Himmel-Acht-Haus-Abschnitt“ oder „Haus des Nordens“ genannt wird. Die Zahl acht steht dabei für die vier Haupt- und die vier Zwischenhimmelsrichtungen. Der „Erste Vater“, Hunal Yeh („Eins-Mais?“), führt den Akt der Schöpfung durch, indem er den Himmel emporhebt und ein Jahr später mit einem Baum, eben dem Wacah Chan, abstützt. Die Schöpfung endet damit, dass Hunal Yeh den Wak Chan Ki, das „Aufgerichteter-Himmel-Herz“, in Drehung versetzt. Man kennt sogar das Datum dieses Ereignisses. Die Maya unterschieden bekanntlich mehrer Schöpfungen. Die letzte und bis heute gültige begann am 13. August 3114 v.Chr.
Das Bild ist rein astronomisch gesehen völlig eindeutig. Die Spitze des Weltenbaums verläuft im „Haus des Nordens“ durch den Polarstern („Haus-des Nordens“) – seine Basis durch das Sternbild Skorpion. Die Drehbewegung von Wak Chan Ki ist dabei nichts anderes, wie die Drehbewegung des Himmels um den Polarstern. Der Wacah Chan verläuft also nicht senkrecht vom Boden aus zum Zenit, sondern wie ein Dachbalken quer über den Himmel. Das wiederum ist freilich nichts anderes als eine Darstellung der Milchstraße, die auch in vielen anderen Kulturen als „Straße der Toten“ galt. [25]
Der Weltenbaum als Zentralachse des Kosmos und Träger des Himmels ist wesentlicher Bestandteil aller mesoamerikanischen Kulturen und kehrt in den verschiedensten Varianten wieder. [26] Dabei können die vier Seiten des Weltenbaums auch zusätzliche vier himmeltragende Bäume hervorbringen, nämlich einen für jede Himmelsrichtung. In Yukatan wurde er yaxché genannt und war nach botanischer Zuordnung der Ceiba-Baum, der heute das Nationalwappen Guatemalas ziert. [27] Der Ceiba-Baum blüht Ende Januar bis Anfang Februar, in der Zeit also, in der nach Auffassung der Maya die Welt erschaffen wurde. [28] Der Begriff yaxché bedeutet „erster“ oder „grüner“ Baum. Erster deswegen, weil nach Ansicht der Maya dies der erste Baum war und „grün“ deswegen, weil die Farbe grün mit dem Mittelpunkt assoziiert wird. Die Bäume an den Ecken der Himmelsrichtungen erhalten dementsprechend die Farben der verschiedenen Himmelsrichtungen: rot, weiß, schwarz und gelb. Die bekannteste Darstellung dieser Komposition dürfte der postklassische Kodex Dresden sein. Neben den farblich unterschiedenen Bäumen erhält jede der vier Haupthimmelsrichtungen noch Vögel, Götter, Tage und sog. Jahresträger zugewiesen. Darstellungen des Weltenbaums sind nicht nur bei allen mesoamerikanischen Kulturen zu finden, sondern auch schon Element der Präklassik. Auf der Stele Izapa 5 befindet sich bereits in vorgeschichtlicher Zeit eine sehr komplexe und detailreiche Darstellung und bereits bei den Olmeken ist der Weltenbaum in genau derselben Weise wie bei den Maya zu finden. [29]
Das Material über den Wacah Chan ist also sehr reichhaltig und eindeutig und schließt durch den Vorgang der Weltschöpfung und seine astronomischen Funktionen jede These über ein Raumschiff kategorisch aus. Daran ändern auch alle weiteren Symbole auf der Platte nichts. Dazu zählt neben der schon erwähnten Glyphe für Baum z.B. das tzuk-Zeichen am Stamm des Baums, das dort das Zentrum der Welt symbolisiert – es bedeutet „Unterteilung“ [30] und meint die Unterteilung der Welt. Das nächste Symbol, nämlich das des Spiegels, weist schon auf die Funktion der ganzen Platte. Spiegel erscheinen bei allen mesoamerikanischen Kulturen als Symbol für die andere, die „Spiegelwelt“. Spiegel mit Schlangen umgeben galten als Zeichen für die Ankunft der Ahnen aus der Unterwelt. [31] Am Ende der beiden Äste und an der Spitze des Baumes sind jeweils die Glyphen für „Blüten“ angebracht, was zweifellos wiederum auf das Erblühen des Ceiba-Baumes zum Zeitpunkt der Schöpfung hinweist. Aus ihnen heraus wachsen mit Juwelen bestückte Schlangen, die als personifizierter Blütenstaub angesehen werden. [32]
Ein weiteres wichtiges Merkmal des Wacah Chan ist die Glyphe für „Gott C“. Die Anbringung dieser Glyphe auf einem Lebewesen oder einem Gegenstand bedeutet allgemein, dass dieser als „heilig“, „sakral“ angesehen werden kann. [33] Aber ebenso ist „Gott C“ eng mit dem Blut verbunden, das bei den Maya eine ganz außergewöhnliche Rolle gespielt hat. Die Schlangen, die aus den Ästen des Weltenbaums hervorkommen, symbolisieren ebenfalls dieses Blut. In der Sprache der Maya heisst „Saft“ einfach „Blut des Baumes“, aber hier haben wir es mit einem Wortspiel zu tun, das den Saft des Ceiba-Baumes mit dem Blut im Ritual des Königtums gleichsetzt. [34]
Der Wacah Chan ist kein totes Symbol einer untergegangenen Kultur aus einer nicht mehr greifbaren Vergangenheit. So wie die Welt der Maya noch heute lebt, wird auch der Wacah Chan noch verehrt und zum Teil sogar mit den selben Ritualen versehen, wie es die Maya der Klassik oder Postklassik taten. [35]
Teil II: Die Achse der Welt
Um den Wacah Chan herum und darüber befindet sich noch eine Anzahl weiterer Symbole, die unmittelbar zur Sinngebung der Darstellung gehören. An erster Stelle ist dabei die Doppelköpfige Schlange zu nennen. Ausgehend von den Ergebnissen des Ethnographen John Sosa, der bei den heutigen Maya in Yukatan die Ekliptik als doppelköpfiges Tier vorgefunden hat, projizierte Linda Schele dieses Bild auf den Wacah Chan. Die Milchstraße wird von der Ekliptik ebenso gekreuzt wie der Wacah Chan von der doppelköpfigen Schlange. [36]. Die Ekliptik ist die Linie der Konstellationen, die scheinbare Jahresbahn also, auf der sich Planeten, Mond und auch Sonne bewegen. Wir unterteilen dieses Band heute in 12 Tierkreiszeichen. Die Maya hatten dafür unterschiedliche Konstellationen, die sogar bis in die Präklassik zurückzuverfolgen sind. [37] Alle diese Konstellationen befinden sich innerhalb der Ekliptik oder direkt daneben. Da sich in den Tropen die Ekliptik direkt im Zenit befindet, ist mit der doppelköpfigen Schlange unmittelbar der Punkt der Milchstraße bezeichnet, an dem direkt über den Köpfen Sonne, Mond und Planeten diesen Punkt kreuzen. Eine Untersuchung hat gezeigt, dass die doppelköpfige Schlange unmittelbar mit Sonne, Mond, Zodiac und Planeten zu tun hat – sie hängen an einem Band an der doppelköpfigen Schlange. Auch auf unserer Platte sind Sonne und Mond direkt neben den Enden der doppelköpfigen Schlange angebracht. [38] Somit kann es sich bei diesem Symbol also nur um die Ekliptik handeln. [39]
Der Körper der doppelköpfigen Schlange, auch „Schlangenstab“ genannt, ist mit Jade-Segmenten geschmückt und gilt neben der beschriebenen Funktion seit Beginn der klassischen Zeit als Symbol des Maya-Königtums. [40] Aus dem geöffneten linken (westlichen) Maul der Schlange erhebt sich „Gott K“ (in der klassischen Periode „Gott II“ genannt). [41] Nach den Untersuchungen von Susan Milbrath handelt es sich dabei um den Planeten Jupiter, wenn sich dieser in Opposition zur Venus und in retrograder Bewegung befindet. [42] Jupiter spielt zusammen mit Venus die zentrale Rolle in den rituellen Kalendern der Maya. [43] Pacal selbst – wie auch viele andere Könige der klasssichen Zeit – ist auf der Platte als Gott K dargestellt. Pacals Apotheose fand statt, als Jupiter seinen ersten stationären Punkt erreichte – am 28.8.683 n.Chr.
Das linke, östliche Maul des Schlangenstabes gibt den sog. „Gott Narr“ frei. Diese Bezeichnung geht auf die Ähnlichkeit seines Kopfputzes mit der mittelalterlichen Narrenkappe zurück, bedeutet aber faktisch nicht weniger als „ahau“, die Bezeichnung für „Herr“. [44] Astronomisch konnte ich keine direkten Zuordnungen des Gottes finden. Es wäre aber sicher interessant den Schlangenstab einmal auf eine besondere Funktion hin näher zu untersuchen. Die besondere Funktion des Schlangenstabes für das Königtum und die ebenso herausragende Bedeutung des Planeten Jupiter, besonders seine Stellung gegenüber der Venus im Kalender, würde eine Zuordnung des Gottes zur Venus wahrscheinlich machen. Im Tempel 5C-2 in Cerros sind genau die beiden Masken mit dem Gott Narr-Diadem versehen, die für die Venus als Morgen- und Abendstern stehen. [45]
Aus der Darstellung der Platte sticht besonders der „Rachen der Unterwelt“ hervor. Man erkennt mehr, wenn man das Bild dreht – wie nebenan. In der Sprache der Maya wird der Rachen Sak-Bak-Nakan genannt, was wörtlich „Weiße-Knochen-Schlange“ bedeutet. [46] Die zoomorphe Darstellung zeigt die skelettierten Kinnbacken des Portals in die Jenseitswelt Xibalba, in der alle Zoomorphe skelettiert dargestellt werden. Ein solches Portal findet man z.B. in der Architektur des Tempels 11 in Copan. Das innere Sanktuar ist als Ort der Jenseitswelt gedacht, zu dem man bildlich ein Sak-Bak-Nakan-Portal durchschreiten muss. [47]. Damit kommen wir zu der bereits zitierten Stelle zurück, nach der sich dieses Portal direkt an der Stelle der Milchstraße befindet, das ein großes schwarzes Loch aufweist – und das heisst offensichtlich auch „schwarzes Loch“. Die Glyphe für „Cenote“ oder „Loch“ ist verwandt mit der „Weiße-Knochen-Schlange“. [48]
Auf dem sogenannten Blasrohrschützen-Gefäß ist ebenfalls ein Weltenbaum dargestellt, allerdings mit dem nicht zu unterschätzenden Detail, das direkt unter dem Baum einen Skorpion zeigt. [49] Und tatsächlich wurde unser Sternbild Skorpion nur in der Postklassik als Skorpion dargestellt. In der klassischen Zeit wird dieses Sternbild als skelettierte Schlange gezeigt, nämlich als Sak-Bak-Nakan. [50] Am Tag des Todes von Pacal, also am 26.8.683, stand das Sternbild des Skorpion in der Dämmerung hoch oben im Westen und markierte den schwarzen Spalt der Milchstraße. [51] Nach Ansicht von Milbrath markieren die Punkte auf dem Skelett der Schlange die Sterne des Skorpion.
Innerhalb der Sak-Bak-Nakan-Schlange befindet sich ein weiteres, eindeutig zoomorphes – und daher ziemlich „untechnisches“ – Gebilde mit Augen, Nase und Maul: das sog. „Viergeteilte Monster“, das unterhalb des Mauls mit Fleisch bedeckt, aber oberhalb wiederum skelettiert ist – so, als befände sich der eine Teil im Diesseits und der andere im Jenseits. Eine ganze Reihe von Glyphen befinden sich daran, und aus einer besteht das Gebilde selbst, nämlich der Opferplatte an der Stirn des Monsters, auf der man klassischerweise das Brandopfer dargebracht hat. [52] K’in, die Glyphe für Sonne, markiert die Platte. Lak ist das Determinativ für das sog. „Viergeteilte Monster“. Rechts von der Mitte befindet sich das Zeichen kimi für „Tod“. Der Stachel des Rochen innerhalb der Opferschale (die sog. „Kin-Schale“) diente den Maya zum Blutopfer und die zwischenzeitlich berühmte Glyphe way steht für die „Transformation“ des verstorbenen Pacal in die Jenseitswelt Xibalba – eine logische Schlussfolgerung aus seinem „Tod“. Ebenso wie unsere skelettierte Schlange ist das Bild des Monsters ein sehr häufiges Motiv in der Ikonographie der Maya. Neben der hier gezeigten Variante als Fuß des Weltenbaums erscheint es als Zepter und Kopfputz oder als Symbol für die Sonne am rechten Ende des „Kosmischen Monsters“. Die Symbolik der Sonne wird außerdem durch zwei gekreuzte Bänder unterstrichen, die auf die Kreuzung der Sonnenbahn mit der Milchstraße zurückgehen. [53]
Am eindrücklichsten vermag eine Malerei eines Tellers aus der Spätklassik über die Funktion des Viergeteilten Monsters Auskunft geben. [54] Für viele Fragen, vor allem z.B. der legitimen Herrschaft eines königlichen Erben, mussten die Ahnen befragt werden. Viele dieser Szenen, die einen solchen Kontakt zur Jenseitswelt darstellten, muten heute brutal an. Mit dem Stachel des Rochen durchbohrten sich die Proponenten Zunge und Penis. Wenn dann einer dieser Ahnen erscheint, dann geschieht das üblicherweise aus dem Kopf der sog. „Visionsschlange“. [55] Diese Schlange erhebt sich in einem solchen Moment und ebenso auf unserem Teller direkt aus dem „Viergeteilten Monster“. Kein anderes Bild der Maya hat je besser auf den Punkt gebracht, wo man sich die Ahnen gedacht hat – nämlich an jenem schwarzen Loch der Milchstraße (die mit dem Blut der Zunge oder des Penis getränkten Papierstreifen wurden dementsprechend in der oben erwähnten Kin-Schale verbrannt.).
Über die exakte astronomische Funktion des „Viergeteilten Monsters“ wurde in der Vergangenheit viel diskutiert. Es war fraglich, ob man über den durch die skelettierte Schlange schon eingegrenzten, schwarzen Punkt der Milchstraße hinaus noch etwas mehr an Detailinformationen würde finden können. Milbrath hat anhand verschiedener astronomischer Darstellungen herausgefunden, dass wir es hier ebenfalls mit der Ekliptik zu tun haben, und zwar mit dem südlichsten Punkt, an dem sich Ekliptik und Milchstraße kreuzen. [56]
Oben, an der Spitze des Wacah Chan, sitzt fast immer der sog. „Himmelsvogel“. Gelegentlich findet man ihn auch auf dem „Kosmischen Monster“ abgebildet. [57] Die Flügel des „Vogels“ sind personifiziert, der Kopf ist zoomorph. Aus dem Schnabel hängt ein langes geflochtenes Band. Um den Hals trägt er eine Kette und am Kopf einen Schmuck aus Muschelschale, der an einem Jadestirnband hängt. Die Muschelschale kennzeichnet den Vogel als den „animal spirit companion“ von Itzamna, den Schöpfer dieser Welt und Aufrichter des Wacah Chan. [58] Die Maya nannten ihn daher Itzam-Kah, Itzam-Ye oder Mut-Itzamna. Der Himmelsvogel ist unter seiner postklassischen Bezeichnung wesentlich bekannter: Wuqub-Kaqix – „Sieben-Papagei“, der seine große Rolle in der Schöpfungsgeschichte des Popol Vuh spielt. [59] Wenn der Himmelsvogel auf dem Baum landet, dann – so ein Text – „tritt der in den Himmel ein“, bzw. „wird zum Himmel“. [60]
Über die astronomische Bedeutung des Himmelsvogels muss nicht viel gesagt werden. Er steht praktisch für den Himmel als solchen. [61] Nun wurde aber bereits gezeigt, dass der Wacah Chan exakt einen Ausschnitt des Himmels bezeichnet, und dass die Spitze des Baumes bei der Errichtung der Welt auf den Polarstern weist, um den herum sich das ganze Gebilde dreht. Unser Himmelsvogel hätte hier also eine Rolle, die dem Polarstern gleichkäme. Und diese hat er tatsächlich! [62] Gott C, der – wie ebenfalls bereits besprochen – den Stamm des Wacah Chan determiniert, wurde bereits 1904 von Paul Schellhas mit dem Polarstern in Verbindung gebracht; das Wort für „Norden“ wird manchmal mit der Glyphe dieses Gottes geschrieben. Und deshalb ist auch unser Vogel bei den Quiché unter dem Namen „Sieben-Papagei“ bekannt, er bezeichnet die sieben Sterne von Ursa Minor, des Kleinen Bären, die den Polarstern enthalten. Vor der postklassischen Zeit bleibt die astronomische Zuordnung unbekannt. Das hängt sehr wahrscheinlich mit der Präzession der Äquinoktien zusammen, die dazu führt, dass der Polarstern nicht konstant auf der Stelle steht. Noch zu Zeiten der alten Ägypter wurde Alpha Draconis als Führer der Unvergänglichen Sterne angesehen. Polaris ist erst seit dem Mittelalter der Polarstern – also zu postklassischer Zeit in Mesoamerika. Santillana und von Dechend haben in ihrem berühmten Werk eine Reihe von Mythen aus der ganzen Welt gesammelt, in denen vom „Abschießen“ des Polarsterns die Rede ist, was sich mit nicht zu unterschätzender Wahrscheinlichkeit auf dieses Ereignis bezieht. [63] Im Zusammenhang mit unserem Himmelsvogel gibt es dazu eine bestätigende Darstellung aus der klassischen Zeit. Auf einer Vase sieht man Itzam-Yeh, unseren Himmelsvogel, auf den Ästen des Wacah Chan sitzen. [64]Eins-Ahau zielt mit einem Blasrohr auf den Himmelsvogel und „schießt“ ihn ab! [65] Wie auch in den Beispiel von Santillana und von Dechend ist damit eine neue Schöpfung der Welt verbunden. Das Datum dieses Ereignisses ist explizit festgehalten: 28. Mai, 3149 v.Chr., als Alpha Draconis noch der Polarstern war. [66]
Ausblick und Fazit
Leider ist hier nicht der Platz, um auf die vielen weiteren Aspekte einzugehen, die über die kurze Beschreibung der letzten Seiten hinausgehen – es wäre allemal interessant genug! Die Platte von Palenque zeigt wesentliche Kernpunkte auf, die die Kultur der Maya überhaupt erst ausmachen. Trotzdem hat auch diese Besprechung eindeutig gezeigt, dass es sich bei der Platte um eine Darstellung eines bestimmten Ausschnitts des sichtbaren Himmels handelt:
„When we put together the Creation images and texts of the Classic period with the myth of the Popol Vuh, the miracle of the entire story touched us to our deepest core. The great cosmic symbols of the ancient Maya are a map of the sky, but the sky itself is a great pageant that replays Creation in pattern of its yearly movements“. [67]
Die Platte von Palenque ist ein herausragendes Beispiel für die kosmischen Ereignisse eines toten Königs in einer kosmologischen Kultur. [68] Und sie ist weiterhin ein ebenso herausragendes Beispiel für die enge Zusammengehörigkeit zwischen Königtum, Gesellschaft und Astronomie – in dieser Konzentration dürfte das kaum in einer anderen kosmologischen Kultur noch einmal auftauchen. [69] Neben der ausgezeichneten Beobachtungsgabe und den ebenso bemerkenswerten Schlussfolgerungen, die schließlich in einen Kalender mit exakt vorhersehbaren Ereignissen am Himmel mündeten, ist es aber die direkte Schlussfolgerung himmlischer Ereignisse auf das irdische Geschehen, welche die Maya-Astronomie so ausdrücklich auszeichnet. Und auch dafür existiert das genialste Beispiel bei den Maya selbst, nämlich die Malereien von Bonampak. [70] Die Szene, in der die Gestirne des Himmels direkt in das irdische Geschehen eingreifen, ist nicht nur nach Ansicht von Linda Schele und David Freidel „eine der erstaunlichsten Schlachtszenen der Kunstgeschichte überhaupt“. [71] Für die Maya – und das zu wissen ist fundamental – ist es immer von höchster Bedeutung gewesen, welche Positionen die Himmelskörper zu welcher Zeit einnehmen. Die Positionen sind exakt definiert – wie auf der Platte! Ihr ganzes Leben hat sich an der Bewegung des Himmels orientiert.
Damit komme ich – eher widerwillig – zum Fazit und zurück zum Ausgangspunkt: Zeigt die Platte von Palenque ein außerirdisches Raumschiff? Ich konnte in der ganzen Untersuchung nicht ein einziges, selbst noch so kleines und unscheinbares Indiz finden, das eine, wie auch immer geartete Schlussfolgerung zuließe, die auf ein Raumschiff deuten würde/könnte. Die ganze Szene ist absolut untechnisch und besteht durch und durch und ohne Ausnahme aus Symbolen, die die Maya für ihre Astronomie gebraucht haben. Damit ist es zunächst absolut unmöglich, von einer Darstellung in „rein technischer Manier“ überhaupt nur zu sprechen. Zoomorphe Geschöpfe, offene Mäuler und starrende Augen sind kein Merkmal eines Raumschiffs. Keines dieser Symbole erscheint nur auf der Platte – sie alle sind regelmäßiger Bestandteil der Maya-Ikonographie und dort in Sinn und Zusammenhang eindeutig und seit langem bekannt. Bliebe also noch die Notlösung, nämlich dass die Symbole zur Nachstellung eines Raumschiffs entsprechend zusammengewürfelt wurden. Aber auch das ist nicht zu sehen, im Gegenteil! Die Darstellung auf der Platte macht genau so Sinn, wie sie ist. Und sie ist ja nicht allein, denn der Wacah Chan erscheint in solcher und ähnlicher Konfiguration recht häufig, und man hat in keinem Fall den Verdacht, man hätte es mit einer sinnlosen Darstellung zu tun, sondern – im Gegenteil – mit einer durchaus beeindruckenden Karte des Himmels. Die Überlieferungen, die ihre Funktion bei der Schöpfung betreffen, sind eindeutig und passen nahtlos zur Darstellung. Und so kann ich nicht ein einziges Argument finden, dass auch nur den Verdacht aufkommen lassen könnte, man hätte es mit einem Raumschiff zu tun. Gleichzeitig aber kann man Stück für Stück und in allen erdenklichen Details die Aussage der Platte direkt in einen sinnvollen Zusammenhang bringen – und das nicht nur auf dieser Platte, sondern immer dann, wenn die hier vorgestellten Symbole und Glyphen erscheinen. Damit ist die These des Raumschiffs von Palenque, eine These, die niemals auch nur ein einziges vernünftiges Argument vorweisen konnte, reinster Unfug und darüber hinaus eine schrille Beleidigung für jeden heute noch Kultur praktizierenden Maya.
Aber ich beschäftige mich schon zu lange mit PS, um nicht die Scheinargumentationen zu kennen, mit denen man selbst derart offensichtliche Tatsachen noch umschiffen möchte. Einmal klappt das natürlich prima, wenn man – wie Fiebag – schon vorab die Schuld bei den Wissenschaftlern und ihrem verkrusteten Weltbild sucht. Damit wird die Darstellung zwar auch nicht zum Raumschiff, aber wenn man genug derartiger Stimmungsbilder aufgebaut hat, merkt das niemand mehr. Besser klappt es noch, wenn man die Methode von Dänikens anwendet, indem man praktischerweise zwei Seiten einfügt, die alle wissenschaftlichen Deutungen möglichst unterhaltsam lächerlich machen. [72] Das bringt viel Spaß, aber null Inhalt und schon gar keine Ergebnisse. dass von Däniken keine Barthaare sehen kann, obwohl sie ihm in Gestalt von Sak-Bak-Nakan schier ins Gesicht springen müssten, mag jemand anders zu erklären versuchen. Auch die Behauptung, er hätte 1984 – das Erscheinungjahr seines Buches – keine vernünftige Erklärung erhalten können, ist einfach nur falsch. Statt uralte Literatur heranzuziehen, hätte es z.B. genügt die Übersetzungen Floyd Lounsburys heranzuziehen, die 1974! erschienen sind. Aber über die hätte man sich vielleicht nicht so sehr lustig machen können. Aber überhaupt sind Barthaare und Quetzalvögel sehr lustig, wenn man doch ein Raumschiff sieht. Und Monster und doppelköpfige Schlangen sind ebenso lustig. Es gibt immer eine Möglichkeit all das, was man nicht haben will, ins Lächerliche zu ziehen. Die so herrlich aufregende, weil hoch entwickelte und unglaublich geheimnisvolle Astronomie der Maya, besteht aus denselben Symbolen – zoomorph, monsterhaft und schier „unerklärlich“. Hier will man nicht auf die Aussage dieser Symbole verzichten, da dieses Wissen ja – so Fiebag – außerirdisch sein könnte. [73]
Anmerkungen
[1] Däniken 1989, S. 100
[2] Coe 1999, S. 193-217
[3] Däniken, 1984
[4] ebd., S. 294
[5] ebd., S. 297
[6] Fiebag 1995, S. 37
[7] Däniken 1984, S. 298
[8] Fiebag 1995, S. 37
[9] ebd., S. 39
[10] ebd., S. 41-43
[11] ebd., S. 47
[12] Schele & Freidel 1994, S. 53
[13] Freidel, Schele & Parker 1993. Die ganze Diskussion ist ohnehin völlig sinnlos, weil die Quiché Maya die Milchstraße ausdrücklich xibalba be genannt haben, und das heißt „Straße der Unterwelt“, vgl. Milbrath 1999, S. 41. Die Milchstraße befindet sich mit einigermaßen großer Offensichtlichkeit am Himmel! Schele/Freidel 1994, S. 255
[14] Fiebag 1995, S. 44
[15] ebd., S. 48
[16] ebd., S. 46
[17] Freidel, Schele & Parker 1993, S. 87
[18] vgl. Schele & Freidel 1994, S. 51-90.
[19] Freidel, Schele & Parker 1993, S. 53.
[20] Begriff verwendet nach: Voegelin 1956.
[21] Diese Äußerung erscheint populär, aber historisch korrekt auch bei Asterix und Obelix!
[22] vgl. Miller, Ellen & Taube 1997, S. 154f.; Für eine umfangreiche Studie aus dem Alten Ägypten vgl. Dieter Kurth 1975
[23] nach Schele 1992, S. 97f.
[24] ebd., S. 198.
[25] ebd., S. 200; Freidel, Schele & Parker 1993, S. 77, Fig. 2:11; Miller & Taube 1997, S. 113f. & 157; Milbrath 1993, S. 41-43 u. passim
[26] Manzanilla 2000, S. 87-116
[27] vgl. Miller & Taube 1997, S. 186
[28] vgl. Schele & Mathews 1998, S. 113
[29] Schele 1995, S. 105-117, vgl. S. 122 u. bes. 234, Kat.No. 131.; Jorelamon & David 1996, S. 51-59.
[30] Freidel, Schele & Parker 1993, S. 73, 140 u. passim
[31] Schele & Mathews 1998, S. 113; Miller & Taube 1997, S. 114f.
[32] Schele & Mathews 1998, S. 113
[33] Schele & Freidel 1994, S. 478
[34] Schele & Miller 1986, S. 284
[35] Freidel, Schele & Parker 1993, passim
[36] Freidel, Schele & Parker 1993, S. 78, S. 422, Anmerk. 34
[37] Milbrath 1999, S. 254-257
[38] vgl. z.B. Schele & Miller 1986, S. 283, Plate 111b
[39] vgl. die ausführliche und teilweise konträre Punkte besprechende Diskussion bei Milbrath 1999, S. 275-282
[40] Schele & Freidel 1994, S. 485
[41] Schele & Miller 1986, S. 285
[42] Milbrath 1999, S. 176, 227-240
[43] Schele & Freidel 1994, passim. Bei den Azteken wird er Tezcatlipoca genannt.
[44] ebd., S. 42ff., S. 479, S. 520, Anm. 29, 30
[45] ebd., S. 112ff., Abb. 3.12; für das Vorkommen in astronomischen Darstellungen vgl. auch Milbrath 1999, S. 87-91
[46] Schele & Mathews 1998, S. 113
[47] Freidel, Schele & Parker 1993, S. 222
[48] vgl. Schele 1992, S. 205; Freidel, Schele & Parker 1993, S. 422, Anmerk. 43
[49] Schele 1992, S. 198
[50] Milbrath 1999, S. 264ff.
[51] ebd., S. 265
[52] Schele & Mathews 1998, S. 113; Schele & Freidel 1994, S. 487f.
[53] Schele & Freidel 1994, S. 488. Weitere Informationen zur Erforschung dieses Symbols bei Freidel, Schele & Parker 1993, S. 450f., Anmerk. 91
[54] Schele & Miller 1986, S. 194, S. 207, Fig. 74
[55] dass der Verstorbene bei den Maya als Stern am Himmel gedacht wird, und dass die Sterne bei den Maya wiederum als Schlangen betrachtet werden, gehört zu den ältesten Einsichten der Maya-Forschung überhaupt, vgl. Thompson 1960, S. 85
[56] Milbrath 1999, S. 273
[57] Schele & Freidel 1994, S. 480
[58] Schele & Mathews 1998, S. 114
[59] Cordan 1981, S. 38ff.
[60] Schele, Freidel & Parker 1993, S. 70f.
[61] Milbrath 1999, S. 249, S. 283-285
[62] Schele, Freidel & Parker 1993, S. 79, S. 89, S. 104ff., S. 112f., S. 449, Anmerk. 81; So, wie die Dinge stehen, ist das ein Vermächtnis der Olmeken, die um 1000 v.Chr. in La Venta Beobachtungen machen konnten, die exakt die Handlung des Mythos wiedergeben, vgl. dazu ebd., S. 423, Anmerk. 54, S. 428, Anmerk. 23; vgl. Milbrath 1999, S. 273f.
[63] de Santillana & Dechend 1994, 1994, S. 125ff.; S. 373ff, Appendix 16.
[64] Schele 1992, S. 202, Abb. 123. Es scheint auch ein frühklassisches Gefäß mit einer solchen Darstellung zu geben, vgl. Freidel, Schele & Parker 1993, S. 417, Anmerk. 16
[65] vgl. auch Freidel, Schele & Parker 1993, S. 69-71, S. 105
[66] ebd., S. 71
[67] Schele, Freidel, Parker 1993, S. 112. Für weitere abschließende Bemerkungen und mögliche astronomische Datierungen aus der Darstellung vgl. ebd., S. 216f.; Milbrath 1999, S. 287 u. Pl. 10
[68] Für ein anderes Beispiel aus der Mayakultur mit denselben inhaltlichen Vorzeichen vgl. Krupp 1997, S. 26
[69] vgl. allerdings das beachtliche Buch von William Sullivan 1996.
[70] Miller 1986, bes. S. 48-51; 95-130; Pl. 2
[71] Schele & Freidel 1994, S. 530, Anmerk. 45
[72] so geschehen in seinem Buch „Der Tag an dem die Götter kamen“. Däniken 1984, S. 294ff.
[73] Fiebag 1995, S. 107
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