Gedanken von Ulrich Magin zur Datierung des Untergangs von Atlantis. Deuten die Zeitangaben Platons darauf hin, dass wir es bei der Atlantis-Erzählung nur mit einer Fiktion zu tun haben?
Platos schildert ein Inselreich Atlantis, das eindeutig eine bronzezeitliche Kultur ist. Auch die Tatsache, dass ein athenischer und ein ägyptischer Staat die Invasoren aus dem westlichen Mittelmeergebiet besiegen, deutet auf diese glanzvolle Epoche der alten Geschichte.
Demnach haben vieler Atlantis-Deuter den Untergang der Insel in die Bronzezeit gelegt, von jenen, die Atlantis mit Thera oder Troja identifizieren bis zum Nazi-Apologeten Spanuth oder Hans Steuerwald, der Atlantis in Cornwall fand. Die Methoden sind jeweils unterschiedlich: Mal wird die Zahl 9.000 Jahre um eine Null gekürzt, mal werden aus den Jahren Monate gemacht, damit die Atlantis-Episode in die Bronzezeit datiert werden kann.
Plato aber schreibt definitiv von 9.000 Jahren vor Solon, und zwei gerne überlesene Abschnitte im „Timaios“ und in der „Kritias“ zeigen deutlich, dass er damit Jahre meinte, und dass er die Atlantis-Geschichte tatsächlich 9.000 Jahre vor seiner Zeit ansiedelte  und nicht in der Bronzezeit.
Im „Timaios“ (22dÂ23c) wird Platons Kosmologie der großen Weltkatastrophen durch Feuer (wie in der Phaeton-Sage) und Wasser in den Mund des ägyptischen Priesters gelegt, der mit Solon spricht. Laut diesem Priester vernichte ein Weltenbrand die Menschen in den Bergen, eine Flut aber die Menschen in den Städten. Nur Ägypten bleibe dank seiner Lage am Nil von Katastrophen verschont:
„Wenn dagegen die Götter die Erde mit Wasser überschwemmen, um sie zu reinigen, so können sich nur die Rinderhirten und Schafhirten auf den Bergen retten, während jene, die bei euch in Städten wohnen, von den Fluten ins Meer geschwemmt werden. Hierzulande strömt das Wasser aber weder dann noch sonst je von oben auf die Felder, sondern es ist umgekehrt so, dass alles von unten in die Höhe steigt.
… Wenn wir aber gehört haben, dass sich bei euch oder hier oder sonst irgendwie etwas Schönes oder Großes oder irgendwie Bemerkenswertes abgespielt hat, so ist das alles hier von alters her in unseren Tempeln aufgezeichnet worden und damit erhalten geblieben; bei euch und bei anderen Völkern aber ist es so: gerade, wenn ihr jeweils mit der Schrift und mit allen anderen Erfordernissen einer Stadt eben versehen seid, so kommt nach dem üblichen Abstand der Jahre wie eine Krankheit die Flut wieder vom Himmel gestürzt und lässt nur die von euch übrig, die sich weder auf die Schrift noch die Musenkunst verstehen, so dass ihr gewissermaßen immer wieder aufs neue jung werdet, ohne jedes Wissen von all den Ereignissen hier bei uns und bei euch, wie sie sich in früheren Zeiten begeben haben.
… Und dann wisst ihr nicht, dass das schönste und beste Geschlecht unter den Menschen eurem Land entsprossen ist, das, von dem du und eure ganze Stadt herstammt, indem sich einst ein kleiner Same von ihnen erhalten hat; das ist euch im Gegenteil alles verborgen geblieben, weil die Überlebenden während vieler Generationen dahingingen, ohne dass sie sich durch die Schrift vernehmbar machen konnten. Denn es gab einst eine Zeit, Solon, noch vor der Vernichtung durch das Wasser, da war die Stadt, die heute die athenische heißt, nicht nur am tüchtigsten im Kriege, sondern sie besaß auch in jeder Hinsicht die weitaus beste Verfassung. (nach Edwin C. Ramage, Hrsg.: Atlantis. Goldmann, München 1982, S. 20f)“
Das ganze wird später in der \“Kritias\“ noch einmal bestätigt:
„Von diesen haben sich noch die Namen erhalten; ihre Taten dagegen sind in Vergessenheit geraten, weil auch die, denen sie sie weitergaben, untergegangen sind und weil seither so lange Zeit verflossen ist. Denn die Bevölkerungsgruppe, die sich jeweils erhalten hat, die blieb, wie oben gesagt wurde, im Gebirge und war ohne Schrift; so hörten sie nur eben die Namen ihrer Landesfürsten und dazu ein Weniges von ihren Taten.“
Im Gebirge blieben aber nur die, deren Städte von einer Flut zerstört wurde, ergo wurde das Athen, aus dem die Krieger stammten, die die Atlanter vernichteten, durch eine gewaltige Flut zerstört. Nicht nur von einer: Es gab „viele Fluten in den 9.000 Jahren, denn das ist die Zahl der Jahre, die von jener Zeit bis zur Gegenwart verstrichen sind.“ (Kritias 110; nach Ramage, S. 26)
Das heißt doch aber: Nachdem Athen Atlantis besiegt hat, wird es durch eine Sintflut zerstört. Diese Katastrophe überleben nur wenige auf den Bergen, die zudem der Schrift nicht kundig sind. Dadurch geht in Griechenland die Erinnerung an den Krieg der Athener gegen Atlantis verloren und wird nur in Ägypten bewahrt, das dank seiner Lage am Nil immun ist gegen Fluten.
Das zeit nun deutlich, dass eine Datierung des Krieges der Athener gegen die Atlanter in die Bronzezeit schlichtweg unmöglich ist; es sei denn, man sucht sich aus Platos Bericht nur die Stellen heraus, die angenehm sind oder sich leicht umdeuten lassen. Denn Plato sagt ja eindeutig, dass Athen zwischen der Atlantis-Episode und seiner Zeit durch eine (oder mehrere) Flut(en) völlig zerstört wurde. Solch eine Flut gab es weder in der Bronzezeit noch nach der Bronzezeit bis zu Platos Zeit. Weder hat man je Spuren einer vernichtenden Flut, die Athen im dunklen Zeitalter verheerte, gefunden, noch gibt es irgendwelche geologischen oder hydrologischen Modelle, die eine solche Annahme überhaupt glaubhaft machen.
Es müssen also doch 9.000 Sonnenjahre gewesen sein  nur: dann ist das im Atlantis-Bericht Geschilderte völlig unmöglich! Wohl wäre Atlantis möglich, nicht aber ein Staat Athen, der Atlantis besiegt! Den gab es vor 10.000 Jahren definitiv noch nicht. Auch einen ägyptischen Staat gab es noch nicht, und wir können auch nicht annehmen, dass eine 10.000 Jahre alte Urzivilisation genau den Stand der Bronzezeit erreichte.
Es bleibt nichts weiter, als in dem Atlantis-Bericht eine Fiktion zu sehen, die reale Elemente metaphorisch enthält (die Perserkriege etwa als Vorlage für den Kampf Athen-Atlantis), Karthago und Herodots Beschreibung von Ektabana als Vorlagen für den Grundriss von Atlantis, das Versinken der Insel Atlantis vor Athen zu Platos Zeit als Anstoß, diese Untergangsart für das Reich des Atlas zu wählen.
Natürlich kann man die mehrmalige Zerstörung Athens durch Fluten seit dem Sieg der Athener über Atlantis als Fiktion oder Zugabe Platos bewerten, dann stellt sich die Frage, ob man zu Fiktionen in dem Bericht nur das erklärt, was nicht in das eigene Atlantis-Konzept passt. Ein sorgfältiges Lesen des Atlantis-Berichts jedenfalls führt zu unentwirrbaren Widersprüchen, die sich archäologisch nicht auflösen lassen Â- das Kennzeichen einer Fiktion. Dass Platos Angaben zur Überflutung Athens in Atlantis-Büchern praktisch nicht vorkommen, kann wohl auch nicht nur daher rühren, dass alle Autoren sie überlesen haben  sie passen bei einer „konventionellen“ archäologischen Lösung nicht ins Bild, und bei den sensationellen Urkontinent-Deutungen des Berichts spielt der Krieg gegen Athen ohnehin nie eine Rolle.