In der Literatur der alternativen Archäologie sind sie seit Jahrzehnten immer wieder ein Thema: Die Atombomben des Mahabharata. Zitate aus dem indischen Nationalepos sollen belegen, dass bereits die alten Inder Atomwaffen einsetzten. Bereits 2001 wurden diese These für Mysteria3000 näher untersucht.

Einleitung

Seit vielen Jahren tauchen sie in der grenzwissenschaftlichen Literatur auf: Die Zitate aus heiligen indischen Büchern, die antike Atomexplosionen schildern sollen. Sie finden sich sowohl bei dem Schweizer Götterforscher Erich von Däniken [1] als auch in Charles Berlitz Werken über versunkene Kontinente [2]. Nach Berlitz kann man zum Beispiel im indischen Epos Mahabharata lesen von:

„… einem einzigen Geschoss, das die Kraft des Universums in sich trug. Eine weißglühende Säule aus Rauch und Flammen, heller als zehntausend Sonnen, erhob sich in all ihrem Glanz … Es war eine unbekannte Waffe, ein eiserner Donnerkeil, ein gigantischer Todesbringer, der das ganze Volk der Vrischnis und der Andhakas zu Asche verbrannte … Die Körper waren so verbrannt, daß sie unkenntlich waren. Ihre Haare und Nägel fielen aus. Tongefäße zerbrachen ohne ersichtlichen Grund, und die Vögel waren weiß geworden. Nach ein paar Stunden waren alle Nahrungsmittel vergiftet. … Um diesem Feuer zu entgehen, warfen sich die Soldaten in die Flüsse und versuchten, sich und ihre Ausrüstung abzuwaschen …“ [3]

Erinnert die bildhafte Sprache dieses Textes nicht eindeutig an die enorme Zerstörungskraft der über Japan abgeworfenen Atombomben von Hiroshima und Nagasaki, die Anfang August 1945 insgesamt fast 400.000 Strahlenopfer forderten? Oder werden wir hier von den Autoren der „phantastischen“ Literatur getäuscht? Wird hier eventuell nur mit bekannten Assoziationen gespielt?

Auf der Suche nach den Quellen

Charles Berlitz ist nur einer von vielen Autoren, welche das Mahabharata in diesem Zusammenhang anführen. Bevor man sich an die Originalübersetzung der Mahabharata heranwagt, erscheint es daher sinnvoll, sich zuerst in der grenzwissenschaftlichen Literatur auf Spurensuche zu machen. Denn mittlerweile haben die Atombomben-Zitate vor allem in der angloamerikanischen Literatur eine große Popularität erreicht. Nach Berlitz bemüht sich hier vor allem David H. Childress, den Mythos um die „Atombomben in der Mahabharata“ aufrechtzuerhalten [4]. Aber auch Erich von Däniken griff ihn in seinem Buch ‚Die Götter waren Astronauten‘ wieder auf [5].

Eine Gegenüberstellung der Zitate – wie sie bei den verschiedenen Autoren zu finden sind – zeigt sehr schnell: nie diente das Original, immer aber ein anderes grenzwissenschaftliches Buch als Quelle. Als Folge haben sich im Laufe der Zeit immer weitere Fehler eingeschlichen. Die Zusammenstellung der Zitate ändert sich ständig, jeweils verschiedene Kapitel und Bücher des Mahabharata werden als Belegstelle angegeben – insgesamt also ein großes Durcheinander, welches nicht gerade für den Wahrheitsgehalt der „altindischen Atombomben“ spricht.

Verfolgt man die bekannten Zitate aus den 70er Jahren auf ihren Ursprung, stößt man nach kurzer Suche auf das Buch ‚Flying Saucers have landed‘ (‚Fliegende Untertassen landen‘) als älteste Quelle [6]. ‚Flying Saucers‘ wurde 1953 als Gemeinschaftswerk von George Adamski und Desmond Leslie geschrieben. Während George Adamski über Kontakte mit Besuchern von der Venus fabulierte, befasste sich Desmond Leslie im ersten Teil des Buches sehr ausführlich mit möglichen Indizien für den Besuch Außerirdischer in der Vergangenheit der Menschheit.

Bei Leslie finden sich bereits eine Vielzahl von Thesen, die Jahre später von Autoren wie Erich von Däniken in der Prä-Astronautik-Szene bekannt gemacht wurden [7]. Auch das berühmteste der Atombomben-Zitate aus dem Mahabharata ist in Berlitz-ähnlicher Form bereits in ‚Flying Saucers‘ zu finden. Doch Desmond Leslie wollte damit keinesfalls Atomexplosionen in der Antike belegen, lediglich darauf hinweisen, „dass diesen alten Menschen gewaltige kosmische Kräfte und ihre Wirkung nicht unbekannt waren.“ [8]

Und es zeigt sich, dass mehrere Textstellen, die von Leslie getrennt vorgestellt wurden, bei späteren Wiedergaben anderer Autoren zu einem einzigen Zitat verarbeitet wurden.

Zum Originaltext

Um nun zu überprüfen, in wie weit Leslie die Zitate richtig aus der Mahabharata übernommen hat – und ob der Text der Mahabharata überhaupt eine „moderne“ Interpretation zulässt, muss man einen Einblick in die Originalquellen gewinnen. Hier hilft die Zusammenfassung von Biren Roy [9] weiter. Seine Kurzfassungen der einzelnen Kapitel ermöglichen einen Überblick darüber, wo die Zitate zu finden sein könnten, denn die Angaben in der grenzwissenschaftlichen Literatur ändern sich von Autor zu Autor.

Um aber wirklich argumentieren zu können, ist es unerlässlich sich die Mammutübersetzung der Mahabharata von Kisari Mohan Ganguli näher anzusehen. [10] Die Mahabharata umfasst in der Ausgabe von Ganguli insgesamt 12 Bücher, in denen die 18 Kapitel des indischen Nationalepos wiedergegeben sind. Die Übersetzung Gangulis entspricht der des in den meisten Quellen angegebenen Herausgebers Pratap Chandra Roy von 1896.

Durch das Quellenstudium findet man nach und nach alle Elemente, die in die bekannten „Atombombenzitate“ eingeflossen sind – und zwar im Drona Parva und im Mausala Parva, den Kapiteln 7 und 16 der Mahabharata. Und man stellt schnell fest, dass die meisten Sätze durch Desmond Leslie zwar richtig zitiert – aber dabei aus dem eigentlichen Zusammenhang gerissen wurden. Die Texte, die man bei Charles Berlitz und Erich von Däniken nachlesen kann, existieren in dieser Form nicht.

Also doch alles nur eine geschickt inszenierte Illusion?

Licht von tausend Sonnen und der gigantische Todesbote

Laut Berlitz und Co. wird im Mausala Parva die Zerstörung der Stadt Dwaraka durch den Einsatz einer Atombombe geschildert. Das Zitat zu Beginn dieses Artikels bezieht sich darauf. Nur liest sich bei Ganguli die Geschichte ein wenig anders. Zwar kommen fast alle Elemente der Zitate in den ersten beiden Sektionen des Mausala Parva vor, aber der Zusammenhang ergibt ein anderes Bild. So ist beispielsweise der „eiserne Donnerkeil“ schon längst zerstört (Sektion 1) [11], als die Stadt Dwaraka im Meer versinkt (Sektion 7) [12]. Und der letzte Satz des Berlitz-Zitates stammt gar nicht erst aus dem 16. Buch der Mahabharata, sondern aus dem Drona Parva. [13]

Zwei Elemente aus dem Berlitz-Zitat muss man sich ein wenig genauer ansehen. Zum einen das Licht, das „heller als zehntausend Sonnen“ ist, zum anderen den „gigantischen Todesbringer“. Denn beide spielen eine große Rolle in der hinduistischen Glaubenswelt. Desmond Leslie hat das erste Element keinem Kapital der Mahabharata zugeordnet. Im Gegensatz zum „gigantischen Todesbringer“ kommt es im Mausala Parva nicht vor.

Aber es war dennoch nicht allzu schwer, die Spur aufzunehmen. 1962 veröffentlichte der österreichische Wissenschaftsjournalist Robert Jungk seine mehrjährige Forschungsarbeit über die Entwicklung der ersten Atombomben. Der Titel des Buches: ‚Heller als tausend Sonnen‘. Im 12. Kapitel berichtet Jungk, wie Dr. Robert Oppenheimer (der damalige Direktor der Los Alamos-Laboratorien) und Leiter des „Manhattan-Projektes“) vom ersten Atombombentest im Juli 1945 so beeindruckt war, dass ihm mehrere Zitate aus der Bhagavad Gita in den Sinn kamen. [14]

Unter anderem folgendes:

„Wenn das Licht von 1000 Sonnen am Himmel plötzlich bräche hervor zur gleichen Zeit – das wäre gleich dem Glanze dieses Herrlichen…“

Nachlesen kann man dies im 11. Gesang des Bhagavad Gita, die irgendwann in das Mahabharata – ins Bhisma Parva – aufgenommen wurde. Das Zitat darf aber nicht für sich allein betrachtet werden, denn beschrieben wird, wie sich Arjuna die wahre Gestalt des Gottes Krsna zeigt. Die Gestalt Krsnas symbolisiert ein bekanntes Element des Hinduismus – das „kosmische Feuer“ am Ende eines Weltzeitalters.

Charles Berlitz ist die Aussage von Dr. Oppenheimer bekannt, er baut sie in seinem Buch ‚Weltuntergang 1999‘ sogar in seine Argumentation mit ein. [15]

„Der gigantische Todesbote“, den man im Mausala Parva findet, bezieht sich ebenfalls auf dasselbe hinduistische Motiv. Er steht in der Bhagavad Gita nur wenige Verse nach dem „Licht der tausend Sonnen“. Manche Übersetzer interpretieren den Todesboten als die „Zeit, welche die Welt zerstört“. Eine Überlegung, die gut zu den Zusammenhängen im Mahabharata passt.

„Atombomben“ scheinen zumindest im Mausala Parva nicht beschrieben zu sein. Das Drona Parva, in dem die große, zentrale Schlacht des Mahabharata geschildert wird, bietet hier schon mehr Ansatzpunkte für eine „moderne Interpretation“.

Denn manche Eigenschaften der göttlichen Waffen – Narayana und der Agneya – hören sich tatsächlich „modern“ an. Allerdings hat niemand bisher genauere Untersuchungen vorgenommen, man verließ sich auf die Zitate anderer Autoren und die Kraft eigener Spekulationen. Die einzige Ausnahme stellt das streitbare Buch ‚Die Wirklichkeit der Götter‘ von Lutz Gentes dar – auch er vermutet eine moderne Waffentechnologie im alten Indien. Von den herkömmlichen „Atombombenzitaten“, wie sie seit Leslie durch die „phantastische“ Literatur geistern, will aber auch er nichts wissen.

Bevor man über einen antiken Atomkrieg in Indien spekuliert, sollte man sich ans Quellenstudium machen, und versuchen, den wahren Sinn der Texte zu verstehen. Denn noch verschmelzen die Science-Fiction-Spekulationen nicht mit der Realität.

Hinweis

Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung der Recherchen die im Jahr 2000 und 2001 für Mysteria3000 durchgeführt wurden. Damals wurden alle Einzelzitate auf dieser Internetseite veröffentlicht. Da dies damals äußerst umfangreich erfolgte, wurde eine Überarbeitung notwendig. Die Darstellung der Einzelzitate wird in Kürze neu veröffentlicht. Nur so kann im Detail die Verarbeitung einzelner Textelemente aus dem Drona Parva und dem Mausala Parva gezeigt werden, ohne die der Mythos der „altindischen Atombomben“ nie entstanden wäre.

Dieser Artikel ist in ähnlicher Form bereits im Jahr 2002 im Magazin ‚Phantatisch‘ (No. 5, Ausgabe 1-2002) erschienen. Vielen Dank hierfür nochmals an Ulrich Magin.

Anmerkungen

[1] z.B. Däniken 1968, Däniken 1974, Däniken 1985, Däniken 2001

[2] Berlitz 1981, Berlitz 1990

[3] Berlitz 1990, S. 257

[4] Childress oJ.

[5] Däniken 2001, S. 200ff.

[6] Leslie/Adamski 1953, Leslie/Adamski 1954

[7] u.a. schreibt Leslie als einer der ersten Autoren über die Begegnungen des Ezechiel mit dem „Thronwagen Gottes“, der später durch den ehemaligen NASA-Ingenieur Josef F. Blumrich als Raumschiff rekonstruiert wurde. Neben der Bibel standen das Ägyptische Totenbuch und eben die indischen Mythologien (Stichwort: Vimanas) bei Leslie hoch im Kurs, Hinweise auf frühere Besuche Außerirdischer zu liefern.

[8] Leslie/Adamski 1954, S. 128

[9] Roy 1961

[10] Ganguli 1970a, Ganguli 1970b

[11] Ganguli 1970a

[12] Ganguli 1970a

[13] Ganguli 1970b

[14] Jungk, S. 193

[15] Berlitz 1981, S. 107

Literatur

Berlitz, Charles (1990): Geheimnisse versunkener Welten. Bergisch-Gladbach

Berlitz, Charles (1981): Weltuntergang 1999. München

Childress, David Hatcher (oJ): Technology of the Gods. Kempton, Illinois, USA

Däniken, Erich von (1968): Erinnerungen an die Zukunft. Düsseldorf

Däniken, Erich von (1974): Beweise. Düsseldorf

Däniken, Erich von (1985): Habe ich mich geirrt?

Däniken, Erich von (2001): Die Götter waren Astronauten. München

Ganguli, Kisari Mohan (1970a): The Mahabharata. Vol. VI. New Delhi

Ganguli, Kisari Mohan (1970b): The Mahabharata. Vol. XII. New Delhi

Jungk, Robert (1962): Heller als tausend Sonnen. München

Leslie, Desmond u. Adamski, George (1953): Flying Saucers have landed. London

Leslie, Desmon u. Adamski, George (1954): Fliegende Untertassen landen. Zürich

Roy, Biren (1961): Mahabharata. Düsseldorf 1961