Schädeldeformationen stellen eines der erfolgreichsten und langlebigsten Schönheitsideale alter Kulturen dar. André Kramer gibt einen kurzen Überblick über den Kult der Schädeldeformationen und weist auf die Problematik von Interpretionen im Sinne der PaläoSETI-Forschung hin.
Schädeldeformationen stellen eines der erfolgreichsten und langlebigsten Schönheitsideale alter Kulturen dar. Die Köpfe von Kleinkindern bis hin zu Jugendlichen wurden dabei mittels Bandagen (z.B. im Südseeraum) oder Brettern mit Scharnieren (z.B. in Südamerika) in turmartige Form gebracht (deformiert). [1]
Abb. 1: Kind mit Kopfbandagen auf der Insel Malekula. Das Foto wurde um 1920 aufgenommen. Heute im Völkerkunde Museum in Kiel zu sehen.
Abb. 2: Modell aus dem niedersächsischen Landesmuseum in Hannover. Es demonstriert die Anwendung von Scharnierbrettern in Südamerika.
Ein skurril anmutender Brauch, der auch heute noch von einigen Naturvölkern praktiziert wird. Das Phänomen der Schädeldeformationen ist dabei nicht nur vereinzelt, sondern weltweit bei unterschiedlichen Kulturkreisen anzutreffen. Von Mittel- und Südamerika, über Afrika, Mesopotamien und Ägypten bis hin zu den Inseln der Südsee finden sich Spuren von Schädeldeformationen. Und wie die rund 60.000 Jahre alten im heutigen Irak gefundenen deformierten Schädel von Neandertalern beweisen, wurde der Brauch schon vor zehntausenden von Jahren praktiziert.
Abb. 3: Präparierte Schädeldeformation aus dem Südseeraum (Neue Hebriden), im Völkerkundemuseum in Kiel ausgestellt.
Abb. 4: Bewohner der Insel Malekula mit deformierten Schädel, Foto um 1920. Heute im Völkerkundemuseum in Kiel zu sehen.
Es scheint einfach, hier eine Art primitiven Rituals zu erkennen, eine obskure und brutale Praktik zur Schmückung des Körpers. Doch wie bereits angemerkt, deformierten auch alte Hochkulturen wie die Ägypter Schädel von (meist adeligen) Personen. Vor allem zu Zeiten des so genannten Ketzerkönigs Echnaton waren Schädeldeformationen in Ägypten verbreitet und offensichtlich „Mode“. Interessanterweise war es auch Echnaton, der in Ägypten versuchte eine neue, monotheistische Religion zu verbreiten, in deren Mittelpunkt der Sonnengott Aton stand.
Abb. 5: Deformierter Schädel einer unbekannten ägyptischen Königin, etwa 1350 v. Chr., zu sehen im Ägyptischen Museum in Berlin.
Abb. 6: Nofretete, die Frau Echnatons mit deformiertem Schädel.
Abb. 7 und 8: Schädeldeformation aus Peru, im Niedersächsischen Landesmuseum in Hannover.
Können wir hier noch von einem primitiven Kult sprechen? Analoge „Schönheitsideale“ wie die sogenannten „Tellerlippen“ Afrikanischer Stämme gibt es überall auf der Welt, doch so weit verbreitet wie die Schädeldeformationen war kein „Schönheitstrend“ der alten Kulturen. Es lässt sich auch keine andere Form der Körperverzierung soweit zurückverfolgen wie die Praxis der Schädeldeformation. Piercings beispielsweise tauchen erstmals um 2.800 v.Chr. auf [3], kein Vergleich zu den 60.000 Jahre alten, deformierten Neandertaler-Schädeln.
Hier stellt sich uns die Frage, weshalb dieses in unseren Augen doch ziemlich grausam erscheinende Prozedere weltweit durchgeführt wurde und teilweise heute noch anzutreffen ist?
Auch in Deutschland waren Schädeldeformationen scheinbar an der Tagesordnung. Der Autor Hartwig Hausdorf etwa, beschreibt in einem seiner Bücher [4] Schädeldeformationen aus Bayern. Hier wurden bislang 12 deformierte Schädel gefunden, die aus germanischer Zeit in der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts nach Christus stammen. Auch in Thüringen wurden ähnliche Funde gemacht, die teilweise heute in Stuttgart ausgestellt werden. Wie die Funde aus Bayern stammen die Schädel aus germanischer und sogar frühmittelalterlicher Zeit. Zu den deutschen Schädeldeformationen gibt es bislang nur recht oberflächliche Erklärungen. So sollen die Deformationen lediglich die Zugehörigkeit zu einer Gruppe signalisieren. [5]
Hier stellt sich die Frage, wie stichhaltig eine solche These ist. Sie scheint nicht zu erklären, weshalb sich dieses Phänomen über einen solch langen Zeitraum weltweit verbreiten konnte.
Spekulationen der PaläoSETI-Forschung
Wir kommen auf Dauer wohl nicht umher, uns über die Ursprünge der Schädeldeformationen Gedanken zu machen. Was veranlasste Kulturen, in einer grausamen und viele Jahre andauernden Prozedur ihre Kinder auf diese Art und Weise zu entstellen (oder besser zu „schmücken“, denn so empfanden es diese Völker wohl)?
Müssen wir hier vielleicht an eine Art Cargokult-Verhalten denken? Einen Cargokult, der durch den Besuch fremdartiger Wesen aus dem All initiiert worden ist? Durch den Besuch der Sonnengötter, wie man in Hinsicht auf Südamerika und Ägypten denken könnte? Wollten die damaligen Menschen, die diesen Göttern begegneten, ihnen ähnlicher sein?
Es fällt zum Beispiel auf, dass viele Personen, die in frühen Kulturen höhere gesellschaftliche Positionen inne hatten, sich mit künstlich deformierten Schädeln schmückten. Festigten diese Schädel die Macht von Echnaton und Co., weil sie die Merkmale der Götter aufwiesen? Eine kühne These die in der PaläoSeti-Forschung schon lange vertreten wird!
In Anbetracht des Imitationsverhaltens, welches wir noch heute bei einigen Cargokulten beobachten können, halte ich diese These durchaus für vertretbar. Problematisch wird es nur in Anbetracht der gewaltigen zeitlichen Dimensionen, über die sich die „Turmköpfe“ erstrecken. Das sich ein solches Ereignis über eine lange Zeit im kulturellen Gedächtnis einzelner Völker verankern kann, ist wohl unbestritten. Wenn man aber daran denkt, dass die ältesten Funde dieser Art mehr als 60.000 Jahre alt sind, dann stehen wir vor einem Problem.
Sollte tatsächlich das Szenario eines außerirdischen Kontaktes zu diesem „Schönheitsideal“ geführt haben, dann lässt sich die zeitliche Distanz zwischen den einzelnen Funden nur durch wiederholte Kontakte mit derselben, vermuteten außerirdischen Intelligenz erklären. Auch der globale Charakter der Schädeldeformationen lässt diesen Rückschluss zu.
Hier fehlt allerdings noch die Studie, welche die weltweite Verbreitung der Deformationen untersucht und in einen ausführlichen, auch historischen Zusammenhang stellt. Das Problem für die PaläoSETI-Forschung ist auch hier wieder eindeutig: Zu wenig Quellenforschung und zu wenige Informationen über den kulturellen Hintergrund der einzelnen Funde verhindern eine detaillierte Aufklärung dieses Phänomens.
Ganz und gar abwegig sind allerdings grenzwissenschaftliche Thesen, laut denen viele der Deformationen gar nicht künstlich geschaffen wurden. Sie sollen viel eher Indiz für fremdartigen Wesen sein, etwa einer unbekannten Menschenart aus Atlantis oder Hybridwesen zwischen Menschen und Außerirdischen. [7] Die Indizien für entsprechende Aussagen können nicht überzeugen.
Anmerkungen
[1] von Freeden 2002, S. 467
[2] Fagan 2004, S. 273
[3] Fagan 2004, S. 273
[4] Hausdorf 1998, S. 31-42
[5] von Freeden 2002, S. 466f.
[6] Auf dem AAS One-Day-Meetig 2004 in Fulda präsentierte Walter-Jörg Langbein ein Video, welches er in Tanna (Neue Hebriden) aufnahm. Dort ist das John Frum Kultfest der dortigen Einwohner zu sehen, die noch heute auf die Wiederkehr des ominösen John Frum warten. John Frum war vermutlich ein Soldat, den es in den 40er Jahren auf die Insel verschlug und der dort von den Eingeborenen als übernatürliches Wesen verehrt wurde. Auf dem Video sieht man unter anderem einen rituellen „Tanz\“, bei dem es sich ganz deutlich um das kopieren militärischem Marschierens handelt. Außerdem hielten die Eingeborenen eine völlig zerfetzte und offensichtlich uralte Amerikanische Flagge hoch. An diesem Beispiel kann man ersehen, wie lange ein solches Imitationsverhalten im kulturellen Gedächtnis gespeichert bleiben kann.
[7] Bonifacio 2004, S. 21-24
Abbildungen
Abb. 1-8: André Kramer
Literaturverzeichnis
Bonifacio, Antonio (2004): „Woher kommen diese fremden Schädel?“, in: Mysterien Nr. 3, Sommer 2004
Fagan, Brian M. (2004): Die 70 großen Erfindungen des Altertums, München
Freeden, Uta von/ Schnurbein, Siegmar von (Hrsg.) (2002): Spuren der Jahrtausende. Archäologie und Geschichte in Deutschland. Stuttgart
Hausdorf, Hartwig (1998): X-Reisen, München
Langbein, Walter-Jörg: „Auf den Spuren des John-Frum-Kultes“. Vortrag auf dem AAS-One-Day Meeting am 30 Oktober 2004 in Fulda